Allgemeinmediziner gesucht: Niedersachsen braucht sofort 500 Hausärzte, in Ostdeutschland fehlen noch mehr.

Das Image ist top, das Interesse groß: Fast 80 Prozent der Bevölkerung hat besondere Achtung gegenüber Ärzten, wie eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie 2008 ermittelte, und Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren wollen am liebsten Arzt werden. Aber für viele, die sich dann dafür entscheiden, ändert sich das im Studium. Ein Drittel der Eingeschriebenen bricht es ab, wie die Bundesärztekammer meldet. Wer durchhält, ist damit aber nicht unbedingt glücklich. Ein Viertel der Absolventen würde nicht noch einmal Medizin studieren. "Viele Assistenzärzte schätzen den Bedarf falsch ein", sagt Detlef Haffke, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. "Sie wollen am liebsten durch spektakuläre Forschungen glänzen, aber wir brauchen auch Allrounder, die am Menschen arbeiten." Schon heute könnten sich in Niedersachsen - anders als im überversorgten Stadtstaat Hamburg - 500 Hausärzte sofort niederlassen. Haffke:"Wenn unsere Maßnahmen nicht greifen, fehlen hier 2020 rund 1000 Hausärzte."

Noch gebe es zwar keinen Ärztemangel in Deutschland, sagt Dr. Michael Späth, Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. "Aber wenn jungen Ärzten in der Wirtschaft, im Ausland oder sogar in der Rentenversicherung bessere Arbeitsbedingungen geboten werden als in einer Klinik oder Praxis, darf man sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs ausbleibt." 40 Prozent der Absolventen, so Späth, landen heute gar nicht mehr in der Patientenversorgung. Und zwischen 2001 und 2007 haben 16 000 Ärzte Deutschland verlassen, um vor allem in der Schweiz, Großbritannien oder Schweden zu arbeiten.

Hierzulande sind ostdeutsche Kliniken, ländliche Gebiete und strukturschwache Regionen die Verlierer bei der Nachwuchssuche. Damit sich ein junger Arzt in Ostdeutschland niederlässt, bieten einzelne Gemeinden kostenloses Bauland oder fünfstellige Zuschüsse an. In Niedersachsen gibt es eine Umsatzgarantie für bestimmte Regionen sowie eine neue Notfalldienstordnung, um die Arbeitsbelastung nachts und am Wochenende zu reduzieren. Anzeigen, Seminare und Plakate sollen zur Niederlassung motivieren. Gefragt sind ebenfalls ausreichend Kindergartenplätze und eine gute verkehrstechnische Anbindung, denn die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben gilt auf dem platten Land als schwierig."

Dr. Jörg Jepsen hat seine Praxis zwar nicht auf dem platten Land, er ist jedoch als Hausarzt in Hanstedt in einem ländlichen Erholungsort in der Nordheide tätig. Die Kinder des 55-jährigen Mediziners sind erwachsen, und er ist froh, dass sie nicht in seine Fußstapfen getreten sind: "Das wäre ein schöner Beruf, wenn man sich auf die vernünftigen Dinge beschränken könnte." Vernünftig ist es, Menschen zu heilen, sie am Krankenbett zu besuchen und medizinisch zu versorgen. "Schwachsinn ist es, wenn ich für eine Rehabilitationsmaßnahme einen zweiseitigen Antrag ausfüllen muss, um dann einen fünfseitigen zurückzubekommen." Dem bürokratischen Irrwitz verdanke er die 80-Stunden-Woche, sagt Jepsen - und dies, obwohl er sich die gut besuchte Praxis längst mit zwei weiteren Hausärzten teile. Bei der jüngeren Kollegin musste er "viel Überzeugungsarbeit leisten".

Werben für den Beruf müssen nicht nur Allgemeinmediziner, sondern auch Neurologen sowie Kinder- und Jugendärzte. "Da haben wir jetzt schon einen akuten Mangel", erklärt Dr. Frank Ulrich Montgomery. Für den Präsidenten der Ärztekammer Hamburg und Vizepräsidenten der Bundesärztekammer wird in einigen Jahren weltweit eine Knappheit an Ärzten aller Fachgruppen herrschen. Steigende Nachfrage bedeute aber auch mehr Einkommen und bessere Arbeitsbedingungen. Anzeichen dafür gebe es schon heute: "Die Arbeitszeiten im Krankenhaus gehen runter, das Einkommen ist durch die letzten Tarifabschlüsse schon angestiegen. Und auch in den Praxen wird in Zukunft mehr Geld ankommen." Nicht zuletzt die demografische Entwicklung wird die Nachfrage nach medizinischen Leistungen weiter steigern. "Ich kann den jungen Menschen absolut dazu raten, Medizin zu studieren."

Für Montgomery ist es der schönste Beruf überhaupt. Für Internist Jepsen ist er "schrecklich schön" - reich an Abwechslung und Erfolgserlebnissen, arm an Zeit für sich und die Familie. Dennoch wird er immer wieder mit seiner Berufswahl versöhnt. "Ich erfahre sehr viel Dankbarkeit."