Was braucht es, damit Deutschland zur Heimat wird? Sechs Jugendliche beschreiben, wo sie sich zu Hause fühlen und was ihr Glaube damit zu tun hat

Heimat kann man lieben. Heimat kann man hassen. Heimat lässt sich finden - und verlieren. Heimat ist Erinnerung und Geborgenheit. Und Identität. Heimat verortet in der Herkunft, gibt Auskunft über Kultur, Glauben und Sprache. Für viele Menschen ist Heimat da, wo man geboren wurde. Aber in einer globalisierten Welt gilt das längst nicht mehr für alle.

Auch in Deutschland leben immer mehr Menschen, die nicht so einfach sagen können, wo ihre Heimat ist. Für sie gibt es diesen Ort nicht und manchmal auch nicht das Gefühl. Weil ihre Kultur anders ist, scheinbar schwer vereinbar mit der deutschen, weil die Werte, Regeln und Traditionen sich von denen der Mehrheit unterscheiden, weil sie anders aussehen, sich anders kleiden. Manche sind als Gastarbeiter gekommen, haben sich ein besseres Leben vorgestellt. Und sind geblieben. Andere sind aus ihrer Heimat geflohen, weil sie politisch oder religiös verfolgt wurden. Sie haben keine andere Wahl als zu bleiben.

Es gibt die, die in Hamburg, Berlin oder Duisburg geboren sind und trotzdem nicht wissen, wo sie zu Hause sind. Nicht selten ist Heimat auch ein weißer Fleck auf der Landkarte der Seele. Heimat hat viel zu tun mit Integration. Vielleicht weil sich auch Deutsche schwertun mit dem Begriff Heimat, wird nach der Buchveröffentlichung von Thilo Sarrazin so leidenschaftlich darüber gestritten, ob und wie dieses Miteinander gelingen kann. Wie Deutschland für die Menschen, die hier leben, zu einer Heimat werden kann, zu der sie sich bekennen und die sich zu ihnen bekennt. Der ersten Generation von Arbeitsmigranten und älteren Flüchtlingen fällt das schwer. Manche Gastarbeiter haben vielleicht zu lange davon geträumt, wieder in ihr Geburtsland zurückzukehren.

Doch wie sieht es mit ihren Kindern und Enkeln aus? Was bedeutet der Begriff Heimat für Jugendliche? Wo in Hamburg fühlen sie sich heimisch, was gibt ihnen ein Gefühl von Zuhause? Gibt es so etwas wie eine innere Heimat und welche Rolle spielt dabei ihre Religion? Das wollten wir von sechs Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren wissen, fünf von ihnen kommen aus Migrantenfamilien. Denn bei Diskussionen um Integration geht es oftmals nur um Statistiken, um politische Weichenstellungen, um große Kulturgruppen - wir wollten auf die einzelnen Menschen schauen, ihre individuelle Lebensgeschichte und ihre Ansichten erfahren. Auffällig ist: So unterschiedlich die sechs Jugendlichen auch sind - gläubig sind sie alle. Für die meisten sind ihr Glaube und auch die Gemeinde eine Basis, die ihnen ermöglicht, selbstsicher und stark in der Welt zu bestehen.

Gerade für Migranten gibt der Anschluss an eine religiöse Vereinigung oder eine Gemeinde "Halt, Identität, schafft Selbstvergewisserung", schreibt Martin Baumann, Theologieprofessor an der Universität Luzern, in seinem Fachbeitrag "Religion und ihre Bedeutung für Migranten". Gerade für Neuankömmlinge und Flüchtlinge würde die Religion Hilfe, Trost, aber auch das Gefühl von Vertrautheit und Heimatverbundenheit bieten. Einen festen Standort in einer zunächst fremden Welt. "Erst das Wissen und die Sicherheit eigener Stärke ermöglichen, den eigenkulturellen Rückzugsort und Schonraum zu verlassen und aus selbstsicherer Position sich den Anforderungen der Aufnahme- beziehungsweise Residenzgesellschaft zu stellen", sagt Baumann.

So hat sich zum Beispiel die Deutsch-Ghanain Inge in Hamburg-Billstedt (siehe Porträt) eine afrikanische Gemeinde gesucht. "Mein Glaube verbindet mich mit meiner afrikanischen Heimat", sagt sie. Gerade Jugendliche sind auf der Suche nach geistiger Orientierung, besonders wenn es in ihrer Umgebung niemanden gibt, mit dem sie über existenzielle Fragen sprechen können. In der aktuellen Shell-Studie "Jugend 2010" haben die Forscher festgestellt, dass für die Mehrheit der deutschen Jugendlichen Religion nur eine mäßige Rolle spielt.

"Ganz anders sieht es hingegen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus: Sie haben einen starken Bezug zur Religion, der in diesem Jahrzehnt sogar noch zugenommen hat", heißt es in dem Bericht.

Etwa 61 Prozent der Jugendlichen mit Migrantenhintergrund bezeichneten sich als gläubig in der letzten Shell-Studie "Jugend 2006", die sich noch ausführlicher mit dem Thema Religiosität Jugendlicher beschäftigt hat.

"Besonders häufig glauben islamische und christlich-orthodoxe Jugendliche an einen persönlichen Gott, vermehrt aber auch Migranten, die den beiden großen christlichen Kirchen angehören", heißt es. Dieser Befund belege die Identifikationskraft "der Religion für junge Menschen in einer fremden individualistischen und pluralistischen Gesellschaft".

Andererseits kann Religion für die junge Migranten-Generation auch zum Hemmnis für Integration werden. Eine aktuelle Studie über "Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt" des niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer fand heraus, dass junge Migranten ohne oder mit christlicher Konfessionszugehörigkeit besser integriert sind als muslimische Jugendliche. Das sind vor allem die Jugendlichen, die ihren islamischen Glauben als bewusstes Gegenmodell zu ihrer Umwelt entwickeln. Die, je religiöser sie sind, umso gewaltbereiter werden und Werte und Traditionen verteidigen, die verfassungswidrig und kriminell sind. Das passiert vor allem dort, wo Jugendliche sich diskriminiert und frustriert fühlen und sie keine eigene Perspektive haben.

Einfache Antworten gibt es nicht. Aber viele Beispiele dafür, dass es klappen kann. Bildung ist einer der Schlüsselbegriffe. Ein anderer ist die Forderung nach einer gesellschaftlichen Offenheit, die nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln ist. Es geht darum, sich füreinander zu interessieren, sich Fragen stellen und gegenseitige Toleranz zu üben, aber auch Stoppsignale zu setzen. Die Jugendlichen, die bei uns zu Wort kommen, haben klare Vorstellungen von dem, wie sie in Deutschland leben wollen. Einem Deutschland, dass ihnen Raum zur Entfaltung bietet und in dem ihre Stimme gehört wird. Heimat, das wird klar, wenn man ihnen zuhört, ist mehr als ein Ort. Es ist ein Ausgangspunkt.