Berlin. Das Hirn von extrem dicken Menschen funktioniert laut einer Studie anders als das von Normalgewichtigen. Abnehmen ändert daran nichts.

Wer fettleibig ist, wird oft als faul, ungezügelt oder willenlos beurteilt. Eine neue Studie aus den USA legt jetzt den Schluss nahe, dass dieses Stigma falsch ist. Vielmehr könnte eine Fehlfunktion des Gehirns der Grund dafür sein, dass fettleibige Menschen unkontrolliert essen. Die Studie ist im Fachmagazin „Nature Metabolism“ erschienen.

Für die Untersuchung führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Yale School of Medicine in New Haven sowie der Harvard Medical School einen kontrollierten klinischen Versuch durch. Bei diesem wurden 30 fettleibige, also adipöse Personen und 30 normalgewichtige Personen mit Zucker, Fetten oder Wasser (als Kontrolle) versorgt. Diese wurde an verschiedenen Tagen über eine Ernährungssonde direkt in den Magen verabreicht.

„Wir wollten den Mund umgehen und uns auf die Verbindung zwischen Darm und Gehirn konzentrieren, um zu sehen, wie Nährstoffe das Gehirn unabhängig vom Sehen, Riechen oder Schmecken der Nahrung beeinflussen“, sagte die Hauptautorin der Studie, Professorin und Endokrinologin Mireille Serlie gegenüber dem US-Sender CNN.

Extreme Fettleibigkeit: Unkontrolliertes Essen durch Fehlfunktion im Gehirn?

In der Nacht vor dem Test nahmen alle 60 Studienteilnehmer zu Hause die gleiche Mahlzeit zu sich und aßen erst wieder, als die Ernährungssonde am nächsten Morgen gelegt wurde. Als entweder Zucker, Fett oder Wasser über die Sonde in den Magen gelangten, erfassten die Forscher mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie und der Einzelphotonen-Emissions-Computertomographie die Reaktion des Gehirns über 30 Minuten. Darüber hinaus maßen die Forschenden das Hormon Dopamin, das Teil des Belohnungssystems ist.

„Wir interessierten uns besonders für das Striatum, den Teil des Gehirns, der an der Motivation beteiligt ist, nach Nahrung zu suchen und sie zu essen“, so Serlie zu CNN. Das Striatum ist tief im Gehirn verborgen und spielt auch eine Rolle bei Emotionen und der Bildung von Gewohnheiten.

Bei Menschen mit Normalgewicht stellten die Forschenden fest, dass sich die Gehirnsignale im Striatum verlangsamten, wenn dem Verdauungssystem Zucker oder Fett zugeführt wurde. „Diese Verringerung der Hirnaktivität ist sinnvoll. Denn wenn die Nahrung einmal im Magen ist, muss man nicht mehr nachlegen“, erklärte Serlie. Es stelle sich ein Gefühl der Sättigung ein.

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Gewichtsabnahme hat das Gehirn nicht verändert

Gleichzeitig stieg der Dopaminspiegel bei den Normalgewichtigen an, was darauf hindeutet, dass das Belohnungszentrum des Gehirns aktiviert wurde. Wurden jedoch fettleibigen Menschen dieselben Nährstoffe über die Sonde verabreicht, verlangsamte sich weder die Hirnaktivität, noch stieg der Dopaminspiegel an.

Als Nächstes wurden die fettleibigen Menschen im Rahmen der Studie gebeten, innerhalb von drei Monaten zehn Prozent ihres Körpergewichts zu verlieren. Dann wurden die klinischen Versuche wie zuvor wiederholt. Die Ergebnisse überraschten die Wissenschaftler.

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Die Gewichtsabnahme hat das Gehirn von Menschen mit Fettleibigkeit nicht verändert, so Hauptautorin Serlie gegenüber CNN. „Nichts änderte sich - das Gehirn erkannte immer noch keine Sättigung oder ein Sättigungsgefühl“, sagte sie. Dies könnte auch erklären, warum fettleibige Menschen, die erfolgreich abgenommen haben, einige Jahre später wieder zunehmen. „Die Auswirkungen des Abnehmens auf das Gehirn sind möglicherweise nicht so reversibel, wie wir es gerne hätten“, so Serlie.

Fett als Auslöser, Lebensmittel, Gene oder Umweltfaktoren?

Bei der Interpretation der Ergebnisse sei allerdings Vorsicht geboten, schränkt die Hauptaurorin ein. „Wir wissen nicht, wann diese tiefgreifenden Veränderungen im Gehirn im Laufe der Gewichtszunahme stattfinden. Wann beginnt das Gehirn zu entgleiten und die Wahrnehmungsfähigkeit zu verlieren?“ Fettleibigkeit habe auch eine genetische Komponente, und obwohl in der Studie versucht wurde, dies durch den Ausschluss von Personen mit Fettleibigkeit im Kindesalter zu kontrollieren, sei es immer noch möglich, dass die Gene die Reaktion im Gehirn auf bestimmte Nährstoffe beeinflussen.

Es sei noch viel mehr Forschung nötig, um vollständig zu verstehen, was Fettleibigkeit mit dem Gehirn anstellt und ob dies durch das Fettgewebe selbst, die Art der verzehrten Lebensmittel oder andere Umwelt- und genetische Faktoren ausgelöst wird, sagte Professor Sadaf Farooqi von der Universität Cambridge (Großbritannien) gegenüber CNN. Farooqi selbst war an der neuen Studie nicht beteiligt. (kai)