Noch vor dem Abendessen endete die Geduld der Kanzlerin mit Warschau: Wir machen ohne Polen weiter! Ein Protokoll.

Brüssel. 9 Uhr: Die Nacht war kurz für Angela Merkel. Nach gut fünf Stunden Schlaf erscheint die Kanzlerin und derzeitige EU-Ratsvorsitzende schon wieder am Ratsgebäude Justus Lipsius in der Brüsseler Rue de la Loi. "Wir arbeiten fleißig, und die Probleme sind noch nicht gelöst", sagt sie den wartenden Journalisten. Bis nach ein Uhr am Freitagmorgen hat sie noch mit den Präsidenten aus Polen, Frankreich und Litauen, Lech Kaczynski, Nicolas Sarkozy und Valdas Adamkus, über den EU-Reformvertrag, der nicht mehr Verfassung heißen darf, diskutiert. Adamkus spricht perfekt polnisch, Sarkozy ist ungarischer Abstammung, hat ein Herz für die Polen, sich aber gleichzeitig der Kanzlerin als Mitstreiter angedient.

9.15 Uhr: Der störrische polnische Staatschef, der so für die Bedeutung seines Landes in der Europäischen Union (EU) kämpfen will, dass er fast alle anderen bremst, ist Merkels erster Gesprächspartner. Es folgen die Premiers aus Großbritannien, den Niederlanden, Tschechien und Luxemburg, Tony Blair, Jan Peter Balkenende, Mirek Topolanek und Jean-Claude Juncker. Während dessen konferieren Sarkozy und Italiens Ministerpräsident Romano Prodi mit verschiedenen Partnern in ihrem Hotel "Amigo". Probleme machen nach wie vor die polnischen Forderungen nach einem größeren Stimmengewicht im Ministerrat.

11.30 Uhr: Der Vormittag zieht sich hin. Immer wieder erscheint ein Vertreter der 27 verschiedenen Delegationen im Presse-Atrium und sagt mit vielen Worten wenig. Man sei zuversichtlich, es werde hart gearbeitet und gerungen.

13 Uhr: Es heißt, dass ein erneutes Gespräch zwischen Merkel und Kaczynski keinen Fortschritt gebracht hat.

13.15 Uhr: Erfolg für Frankreich. Nach Angaben von Diplomaten wird auf Betreiben von Sarkozy ein Hinweis auf die "freie und unverfälschte Konkurrenz" für europäische Unternehmen, die sogenannte Wettbewerbsklausel, aus dem Entwurf für einen neuen EU-Vertrag gestrichen.

13.30 Uhr: Nach den bilateralen Gesprächen kommen die Staats- und Regierungschefs zum Mittagessen zusammen. Bei Salat vom Eisbein mit Flusskrebsen, gebratenem Zander mit Pilzen und Kürbiskern-Parfait mit marinierten Erdbeeren will die Kanzlerin alle auf den gleichen Informationsstand bringen. Auf diese Runde setzt Merkel. Hier sind nur ihre Kollegen zusammen, keine Mitarbeiter oder Berater. Die Gespräche sind unmittelbarer und direkter. Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm schaffte Merkel beim Mittagessen den Durchbruch in der Klimafrage.

14.30 Uhr: Brüssel ist nicht Heiligendamm. Nach dem Essen gehen die bilateralen Treffen weiter. Aus Regierungskreisen verlautet, man habe den Eindruck dass Bewegung entstanden sei, aber man wage noch keine Prognose. Zuhören, abwägen, austarieren - Merkel muss im Plenum und bei individuellen Gesprächen die Mehrheitsmeinungen und die Wünsche Einzelner in Balance bringen.

16.35 Uhr: Für Österreichs Kanzler Alfred Gusenbauer ist der EU-Außenminister vom Tisch. Dieses Amt soll nicht diesen Titel haben, sondern Hoher Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik heißen. Diese Position gibt es bereits, sie wird von Javier Solana bekleidet. Die Briten hatten sich gegen einen EU-Außenminister gewehrt.

16.40 Uhr: Zum vierten Mal trifft Angela Merkel den polnischen Präsidenten. Auch Sarkozy und Adamkus sind zeitweise wieder dabei.

18.30 Uhr: Aus Präsidentschaftskreisen werden Annäherungen vermeldet. Eine Einigung sei dies freilich noch nicht, weiterhin sei keine Prognose möglich. Einzelgespräche im Wechsel mit der großen Runde, zum Beispiel beim Abendessen, gingen weiter.

21.30 Uhr: Merkels Geduld mit der polnischen Führung ist offenbar zu Ende: Ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm verkündet, dass die Kanzlerin den Fahrplan für eine EU-Reform ohne Polen beschließen lassen wolle. Sie sei nicht länger bereit, Europa "auf der Stelle treten zu lassen".