Berlin. Kanzlerin will sich um die Probleme kümmern und erst danach eine Flüchtlingsunterkunft besuchen. Ihre Hausaufgaben sind vielschichtig.

Miguel Sanches

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) war nicht auf eigene Rechnung im Flüchtlingsheim in Heidenau, sondern für die gesamte Regierung unterwegs. So versteht es Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die ihre Aufgabe in allererster Linie darin sieht, „dass national wie in Europa die angemessenen Maßnahmen getroffen werden“, wie Regierungssprecher Steffen Seibert gestern erklärte.

Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande forderte die Kanzlerin in Berlin, die EU-Staaten sollten ihre gemeinsame Asylpolitik auch wirklich umsetzen. Das heißt konkret: Gemeinsame Standards für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge, Registrierungszentren speziell in Griechenland und Italien. „Dies muss jetzt schnell geschehen, noch in diesem Jahr. Wir können keine Verzögerung akzeptieren“, warnte Merkel.

Hollande, der sie im Kanzleramt besuchte, versicherte, die Verantwortung könne nicht einem einzigen Land überlassen werden. „Ganz Europa ist betroffen“, sagte Hollande. „Wir sind solidarisch“. Es war das, was Merkel hören wollte. Sie nutzte die Gelegenheit, um, die Ausschreitungen in Heidenau „auf das Schärfste“ zu verurteilen. Dort gab es nach ihren Worten eine aggressive und fremdenfeindliche Stimmung, die in keiner Weise akzeptabel sei. „Es ist abstoßend, wie Rechtsextremisten und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotschaften zu verkünden“, empörte sich die Kanzlerin.

Merkel handhabt es anders als Gabriel

Sie neigt – anders als Gabriel – dazu, eine Flüchtlingsunterkunft erst dann zu besuchen, wenn die Regierung erledigt hat, was in ihrer Macht steht. Noch defensiver definiert CSU-Chef Horst Seehofer derweil seine Rolle. Er finde nicht, „dass wir Politiker das Recht haben, auf dem Rücken der Flüchtlinge Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben“, hatte er im ZDF gesagt.

Die Kanzlerin strebt eine europäische Lösung an; der erste Schritt war gestern die Verständigung mit Hollande. Fast 90 Prozent der Balkan-Flüchtlinge zieht es nach Deutschland – wegen der höheren Sozialleistungen. Viele europäische Staaten, etwa Griechenland, lassen die Menschen bis nach Deutschland „durchlaufen“, wie in Berlin beklagt wird. Andere unternehmen zu wenig, um Armutsflüchtlingen die Ausreise zu erschweren oder um abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen. Deswegen will man etwa der Regierung im Kosovo jetzt massiv klarmachen, „dass die Dinge so nicht bleiben können“, wie ein hochrangiger Diplomat erklärte.

Merkel strebt Treffen mit Länderchefs an

Es geht der Bundesregierung um eine faire Verteilung der Flüchtlinge, um Quoten für jedes Land, ferner um ein europäisches Grenzmanagement. Die Asylpolitik könnte im Idealfall ein Projekt der Integration werden. Aber hinter vorgehaltener Hand hört man in Berlin auch die Frage, „ob wir den Laden in Europa zusammenhalten?“

Parallel dazu will Merkel noch im September die Ministerpräsidenten der Länder treffen. Nur gemeinsam, in Bundestag und Bundesrat, können sie sicherstellen, dass schneller und unbürokratisch Unterkünfte für die Flüchtlinge fertiggestellt werden. Im Juli kamen 83.000 Menschen, für August zeichnen sich mehr ab: 95.000. Auf Kommunen, Länder und Länder rollt eine Kostenlawine zu. Vor diesem Hintergrund wird das Kabinett morgen erst einmal beschließen, die Länder und Kommunen bei den Kosten zu entlasten. Sie bekommen dieses Jahr 500 Millionen Euro zusätzlich – insgesamt eine Milliarde Euro. Die Hälfte des Geldes ist allerdings nur ein Kredit. Ob und wie die Länder es zurückzahlen müssen, wird derzeit verhandelt.