Berlin/Heidenau. Der Bundesinnenminister verurteilt wie andere Politiker die rechtsradikalen Krawalle im sächsischen Heidenau. Vizekanzler Gabriel sieht Bund gefordert.

Die Welle der Gewalt gegen Flüchtlingsheime hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Hunderte Rechtsextreme lieferten sich am Wochenende vor einer Notunterkunft in Heidenau bei Dresden Straßenschlachten mit der Polizei. Dutzende Beamte wurden verletzt. Die Bundesminister für Inneres und Justiz, Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD), kündigten an, mit aller Härte des Rechtsstaates gegen die Täter vorzugehen. In der politischen Debatte rücken schnelle Milliardenhilfen für überforderte Kommunen in den Fokus. Außerdem wächst die Kritik an EU-Ländern, die wenige oder keine Flüchtlinge aufnehmen. Als Konsequenz könnten an den Grenzen wieder Kontrollen eingeführt werden.

Dem Gewaltausbruch vor einer neuen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in einem früheren Baumarkt in der Nacht zum Sonnabend war eine Demonstration mit rund 1000 Teilnehmern vorausgegangen, zu der die NPD aufgerufen hatte. Im Anschluss versuchten die Rechtsextremen die Zufahrt zum Gelände zu blockieren. Nach Polizeiangaben schwoll die Menge vor dem Heim auf bis zu 600 Menschen an. Aus dem Pulk seien Böller und Steine geworfen worden. Die Polizei setzte Pfefferspray ein. 31 Beamte wurden verletzt, einer davon schwer.

In der folgenden Nacht versammelten sich nach Polizeiangaben erneut 250 Rechtsextreme und ebenso viele Gegendemonstranten vor der Unterkunft. Ein Reuters-Fotograf berichtete, die Randalierer hätten Parolen wie „Heil Hitler“ gerufen und die Polizei mit Feuerwerkskörpern attackiert. Die Beamten setzten vereinzelt Schlagstöcke gegen die zum Teil betrunkenen Rechtsradikalen ein. Seit Wochen machen Rechtsextreme in Sachsen und anderen Bundesländern gegen Flüchtlinge mobil.

Innenminister de Maizière sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir haben eine gewaltige Welle von Hilfsbereitschaft, aber zugleich einen Anstieg von Hass, Beleidigungen und Gewalt gegen Asylbewerber.“ Dies sei unwürdig und unanständig. Justizminister Maas kündigte ein hartes Durchgreifen an. „Wir dürfen niemals tolerieren, dass Menschen in unserem Land bedroht oder angegriffen werden.“ Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) sagte, bei Fremdenfeindlichkeit gelte in Sachsen null Toleranz. „Wir werden auch die ausufernde Gewalt gegen Polizisten nicht tolerieren und die Straftaten mit aller Konsequenz verfolgen.“

Zugleich wurde der Ruf lauter, den Kommunen zügig zu helfen, den Flüchtlingsstrom zu bewältigen. „Wenn der Eindruck entsteht, dass die Städte und Kommunen überfordert sind, besteht die Gefahr, dass die positive Stimmung kippt“, warnte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) im „Tagesspiegel“. SPD-Chef Sigmar Gabriel rechnet damit, dass der Bund seine finanzielle Unterstützung mindestens auf drei Milliarden Euro verdreifachen muss. So müssten dringend Wohnungen nicht nur für Flüchtlinge gebaut werden, sagte er der ARD: „Es darf in Deutschland nicht der Eindruck entstehen, dass man für einen Teil alles und für andere, denen es auch nicht gut geht, gar nichts macht.“

Mazedonien öffnet seine Grenzefür Flüchtlinge wieder

Anderen EU-Ländern warf Gabriel vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Es sei „eine Riesenschande, dass eine Mehrzahl der Mitgliedstaaten sagt: Das geht uns nichts an.“ Er kündigte an, die Flüchtlingsunterkunft am Montag besuchen zu wollen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte in der „Welt am Sonntag“ einen „starken europäischen Ansatz – und zwar jetzt“. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos sagte, offensichtlich gäben einige Regierungen aus Angst vor Wahlen populistischen Strömungen nach. Neben Großbritannien lehnen vor allem osteuropäische Staaten EU-Vorschläge zur Verteilung von Flüchtlingen ab. Gabriel warnte, die offenen Grenzen seien gefährdet, wenn auf Dauer der Eindruck entstehe, nur Schweden, Österreich und Deutschland nähmen viele Menschen auf. Ein Rückfall in ein Europa ohne offene Grenzen würde dramatische Folgen haben. Auch de Maizière warnte, die Reisefreiheit im Schengen-Gebiet sei ein hohes Gut. Wenn viele EU-Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkämen, gefährdeten sie das Abkommen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt die Bundeswehr prüfen, wie sie bei der Unterbringung der Menschen helfen kann. Bisher hat sie in 18 Kasernen Platz geschaffen.

Unterdessen öffnete Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge, um eine Eskalation der Lage zu verhindern. Hunderte Migranten überquerten am Sonntag die Grenze nahe der Stadt Gevgelija, nachdem sie tagelang im Niemandsland zwischen Griechenland und Mazedonien ausgeharrt hatten. In Mazedonien warteten Sonderzüge und aus dem ganzen Land zusammengezogene Busse, um die Flüchtlinge weiter nach Serbien zu bringen. Dort kamen mehr als 5000 Menschen an. Über Ungarn wollen sie nach Westeuropa.

Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien und anderen Krisenregionen des Nahen Ostens, Afrikas und Asiens. Viele versuchen auch über das Mittelmeer zu kommen. Die italienische Marine rettete allein am Sonnabend 4400 Menschen von mehr als einem Dutzend Booten. Nach Angaben der Küstenwache gab es Hilferufe von fast doppelt so vielen Schiffen.

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