Heidenau. Wirtschaftsminister macht sich als erstes Regierungsmitglied ein Bild der Lage in Heidenau. Kanzlerin wird für Zögern kritisiert.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die rassistischen Ausschreitungen im sächsischen Heidenau mit scharfen Worten verurteilt. Die Regierungschefin ließ ihren Sprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin erklären: „Es ist abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, rund um eine Flüchtlingseinrichtung ihre dumpfe Hassbotschaft zu verbreiten. Und es ist beschämend, wie Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ihr Mitlaufen diesen Spuk unterstützen.“ Es gebe keinerlei Rechtfertigung für Gewalt.

Bei nächtlichen Krawallen von Rechtsextremisten und Rassisten waren in der sächsischen Stadt seit Freitag mehr als 30 Polizisten verletzt worden. Seibert sagte: „Deutschland lässt nicht zu, dass Flüchtlinge, über deren schwierige Lebenssituation jeder durchaus einmal nachdenken sollte, von hasserfüllten Parolen empfangen werden oder von alkoholisierten Schreihälsen bedrohten werden.“

Die Zunahme an rechten Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte bereite der Regierung Sorgen, betonte Seibert. Von rechtem Terror wollte er aber nicht sprechen. „Ich hielte das für eine - was jetzt die Ereignisse in Heidenau betrifft - viel zu weitgehende Aussage auf das ganze Land hoch gerechnet“, entgegnete der Regierungssprecher auf eine entsprechende Frage. „Das ist nicht das Bild, das in ganz Deutschland herrscht, im Gegenteil.“

Auf die Frage, wann Merkel eine Flüchtlingsunterkunft besuchen werde, sagte Seibert, sie werde dies „zu gegebenem Zeitpunkt“ tun. Von Linken, Grünen und auch von der SPD kam zuletzt deutliche Kritik, Merkel positioniere sich nicht deutlich genug gegen Angriffe auf Asylbewerber.

Auch in sozialen Medien war die Kanzlerin für ihre zögernde Haltung in den Fokus geraten. Bei Twitter hatte das Hashtag #Merkelschweigt am Montag bereits Hochkonjunktur.

Gabriel als erstes Regierungsmitglied vor Ort

Als erstes Mitglied der Bundesregierung besuchte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) am Montag Heidenau. Dafür hatte der SPD-Chef extra die Route seiner Sommerreise geändert. Er forderte eine harte Bestrafung der Täter, die für ihn die "undeutschesten Typen" seien, die er sich vorstellen könne. „Bei uns zuhause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier rumgetrieben hat“, so der Gabriel in der sächsischen Kleinstadt bei Dresden. Und weiter: „Wer hierherkommt und hier Parolen brüllt, Brandsätze schmeißt, Steine schmeißt, im Internet dazu aufruft, Leute umzubringen oder körperlich zu verletzen, diejenigen haben nur eine einzige Antwort von jedem von uns verdient: Ihr gehört nicht zu uns, euch wollen wir nicht."

Vor Ort schaute sich Gabriel etwa eine halbe Stunde die Unterkunft in einem ehemaligen Baumarkt an und sprach mit Flüchtlingen. Außerdem hörte er sich die Ängste zahlreicher Anwohner an, die sich vor dem Eingang der von Polizei und einem Sicherheitsdienst geschützten Notunterkunft versammelt hatten.Gabriel ist bis Dienstagabend in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterwegs.

De Maizière: "Staat darf nicht nachgeben"

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verurteilte unterdessen die Krawalle. „Hier sind Grenzen überschritten worden, die ich kaum noch in Worte fassen kann“, sagte er am Sonntagabend nach Gesprächen mit Vertretern von Polizei, Stadt und Heimbetreiber in Heidenau. Tillich versicherte das „Gewaltmonopol des Staates“ durchsetzen zu wollen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte am Sonntag am Rande einer Veranstaltung in Aachen: „Vor allen Dingen darf der Staat nicht nachgeben. Wenn entschieden worden ist, an eine bestimmte Stelle kommt eine Unterbringung für Asylbewerber und Flüchtlinge, dann darf das nicht wegdemonstriert werden. Und das ist - glaube ich - eine Lehre der letzten zwei Tage.“

Seit Sonntag gilt besonderer Kontrollbereich

In Heidenau gilt seit Sonntagabend ein besonderer Kontrollbereich um die Unterkunft, in dem die Polizei ohne Anlass Personalien feststellen und Taschen etwa auf Waffen oder Feuerwerkskörper überprüfen kann. Außerdem können leichter Platzverweise ausgesprochen werden. In der Nacht zum Montag waren mehr Polizisten vor Ort als in den beiden Vornächten. Erstmals standen auch zwei Wasserwerfer bereit.

Beamte kontrollierten das Gebiet rund um die Einrichtung. Menschen wurden angesprochen und mussten sich teils ausweisen. Schaulustige und erkennbar rechte Heimgegner wurden zurückgewiesen.

Zusammenstöße mit Linksautonomen

Rund 250 Angehörige der linken Antifa-Szene, die teils vermummt in Heidenau aufmarschierten, wurden bis zum Heim vorgelassen, wo bereits etwa 150 Menschen in unmittelbarer Nähe der Unterkunft ihre Solidarität mit den Flüchtlingen demonstrierten. Während zunächst alles friedlich blieb, kam es beim Abzug der Linksautonomen zu Zusammenstößen. Angehörige der linken Antifa-Szene griffen eine Gruppe von Menschen an, die sie offensichtlich dem rechten Spektrum zuordneten. Die Polizei griff mit Schlagstock und Pfefferspray ein und trennte die Gruppen.

Die Leipziger Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar nannte den Auftritt der Antifa in Heidenau „suboptimal“. Zugleich bedauerte sie, dass nicht mehr „normale Bürger“ zu dem Heim gekommen seien, um sich für die Flüchtlinge einzusetzen. „Es waren ja auch viele Flüchtlinge hier draußen, so dass man sie hätte kennenlernen und vielleicht auch Vorurteile abbauen können“, sagte Lazar.

In der Unterkunft sollten nach Angaben des Betreibers bis Sonntagabend etwa 320 Menschen untergebracht sein. Ausgelegt ist das Flüchtlingsheim in dem früheren Praktiker-Baumarkt für bis zu 600 Menschen.