Die Eskalation der Gewalt bei den Protesten gegen den Bahnhofsneubau hat einen erbitterten Streit zwischen den Parteien ausgelöst.

Wiesbaden. Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus hält derzeit ungeachtet der Proteste am Bahnprojekt Stuttgart 21 fest, setzt dem Milliardenvorhaben allerdings finanzielle Grenzen. „Ich habe mit Blick auf die Kostenstruktur gesagt, wir sind für Stuttgart 21, aber nicht um jeden Preis“, sagte der CDU-Regierungschef in Stuttgart. Derzeit würden die Kosten für den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf 4,1 Milliarden Euro sowie rund 2,9 Milliarden Euro für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm geschätzt. „Deshalb ist auch ein Korridor definiert – und zu diesen Ausführungen stehe ich.“

Nach den blutigen Szenen in Stuttgart hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Gegner des Bahnhofsneubaus zur Gewaltlosigkeit aufgerufen. „Ich wünsche mir, dass solche Demonstrationen friedlich verlaufen“, sagte Merkel am Freitag dem SWR. Die Grünen gaben der Kanzlerin und Ministerpräsident Mappus die Schuld an der Eskalation.

„Proteste sind natürlich erlaubt, schließlich leben wir in einem freien Land“, sagte Merkel. Aber es müsse alles vermieden werden, was zu Gewalt führen könne. Das Projekt Stuttgart 21 halte sie für sinnvoll, weil es um eine europäische Trassenführung und die Verlässlichkeit der Politik gehe. Zukunftsträchtige Großprojekte dürften nicht blockiert werden. Bei der Landtagswahl in Baden- Württemberg im März und den Bundestagswahlen stelle sich die Frage, wie zukunftsfähig das Land sei.

Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte Merkel scharf: „Sie hätte ihren Appell an den Innenminister und an ihre Parteifreunde der CDU in Baden-Württemberg richten müssen – von denen geht die Gewalt aus.“ SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte: „Ministerpräsident Mappus will mit dem Kopf durch die Wand.“ Schlagstöcke gegen Jugendliche und Rentner seien der Demokratie unwürdig. Am Donnerstag war die Polizei mit Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfern gegen Demonstranten vorgegangen, zahlreiche Menschen wurden verletzt.

Mappus verteidigte den Polizeieinsatz. „Ich stelle mich hinter unsere Beamtinnen und Beamten.“ Die Polizisten seien von Demonstranten mit Flaschen beworfen worden. „Die Bilder von gestern dürfen sich nicht wiederholen“, erklärte er zugleich. „Wir brauchen in dieser schwierigen Situation Gesprächsbereitschaft und Gesprächsfähigkeit.“ Auch die Bundesregierung rief zum Dialog auf - und das ohne den geforderten Baustopp. Beide Seiten müssten „fantasievoll“ und „in guter Absicht“ in solche Gespräche gehen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sagte: „Der Gesprächsfaden muss wieder aufgenommen werden.“ Oppermann forderte dagegen, die SPD-Idee eines Volksentscheids jetzt umzusetzen.

Die Grünen warfen der Union Verlogenheit vor. Es habe nie eine ehrliche Absicht zu einem Dialog gegeben, sagten Özdemir und Co- Parteichefin Claudia Roth. Grundrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien niedergeknüppelt worden. Merkel und Baden- Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) versuchten, die friedliche Demonstranten zu kriminalisieren. Rech wies den Vorwurf zurück, die Polizei sei brachial vorgegangen. Auch die Gewerkschaft der Polizei nahm die Beamten in Schutz.

Özdemir behauptete, mit hartem Vorgehen versuche die Landesregierung die Protestbewegung zu spalten. Grünen- Fraktionschefin Renate Künast meinte: „Die Polizei könnte es auch anders.“ Die Demonstrationen vom Vortag seien gewaltfrei gewesen. Mit bundesweiten Solidaritätsaktionen wollen die Grünen die Gegner in Stuttgart unterstützen. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte der Nachrichtenagentur dpa, zunächst seien mehr als 20 Aktionen unter dem Stuttgarter Protest-Motto „Schwabenstreich“ geplant.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe attackierte die Grünen: „Aus zahlreichen Verletzten mit abstrusen Vorwürfen an die Bundeskanzlerin politischen Vorteil ziehen zu wollen, ist zutiefst schäbig.“ Lemke konterte, mit solchen läppischen Vorwürfen gieße Gröhe nur neues Öl ins Feuer.

Im Bundestag kam es zu einem Schlagabtausch zu den Ereignissen. Union und FDP lehnten einen Grünen-Antrag für eine Aktuelle Stunde ab - diese soll nach den Worten Künasts nun kommende Woche stattfinden. „Der Antrag ist politisch schädlich“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU). Die Linke- Politikerin Dagmar Enkelmann sagte, es könne nicht sein, dass Schüler mit angegriffen würde. „Was lernen diese Kinder in einem solchen Moment über Demokratie?“ Auch nach einer ersten Befassung des Innenausschusses prallten die Meinungen aufeinander. Der Innenexperte der Linke-Fraktion, Jan Korte, warnte vor einer Vergiftung des innenpolitischen Klimas. Der Unions-Innenexperten Hans-Peter Uhl (CSU) warf der Opposition reine Inszenierung vor.