Streit in der Koalition, Rätselraten um Wulff und Gauck – und selbst Deutschlands sportlichste Schüler müssen auf den Nachfolger warten.

Berlin/Hamburg. Zwei Wochen nach seinem Rücktritt als Bundespräsident wird Horst Köhler am Dienstag mit dem Großen Zapfenstreich durch die Bundeswehr verabschiedet. Es ist die höchste Form militärischer Ehrerweisung deutscher Soldaten. Die Zeremonie hat eine weit in die Militärgeschichte zurückreichende Tradition und darf nur zu besonderen Anlässen aufgeführt werden. An der Zeremonie im Park von Schloss Bellevue in Berlin nehmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) teil. Köhler, der sich seit seinem Rücktritt nicht mehr öffentlich geäußert hatte, will ebenso wie der amtierende Bundespräsident Jens Böhrnsen (SPD) ein kurzes Grußwort sprechen. Der Bremer Bürgermeister und derzeitige Bundesratspräsident hatte zu dem Zapfenstreich eingeladen.

Auch wenn Köhler geht – der Ärger bleibt: in der Regierungskoalition, um seinen Nachfolger und bei Köhler selbst. Ob er die wahren Beweggründe, über die viel spekuliert wird, je verraten wird, ist offen. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass es nicht nur die Kritik nach einem unglücklichen Interview zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr war, die Köhler zum Abgang bewegten.

Die Spekulationen ranken sich um einen Zwist mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gerüchte um eine Weigerung, dem Euro-Rettungsplan zuzustimmen, oder eine generelle Amtsmüdigkeit, nachdem ihn leitende Mitarbeiter verlassen und die Kritiker sich gegen Köhler in Stellung gebracht hatten.

Die Ursprünge für den Großen Zapfenstreich liegen in der Zeit der Landsknechte des 16. Jahrhunderts. Damals gab ein Truppenführer in Gasthöfen und Tavernen mit einem Streich auf die Zapfen der Getränkefässer den Beginn der Nachtruhe bekannt – daher der Name „Zapfenstreich“. Danach durften die Wirte nicht mehr an die Soldaten ausschenken. Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieses Signal durch Trompeten-, Flöten- und Trommelspiel musikalisch angereichert.

Das Zeremoniell entstand in seiner heutigen Form im frühen 19. Jahrhundert in der Zeit der Befreiungskriege, als das Ritual durch ein kurzes Abendlied ergänzt wurde. Der preußische König Wilhelm III. befahl zudem im Jahr 1813 in einem Erlass, nach dem eigentlichen Zapfenstreich ein Gebet sprechen zu lassen. Wilhelm Wieprecht, Direktor des preußischen Musikkorps, stellte erstmals eine ausführliche Spielfolge für das militärische Ritual zusammen.

Der Große Zapfenstreich der Bundeswehr besteht heute aus dem „Locken“ der Spielleute, dem Auftritt des Musikkorps und der berittenen Truppen, einem Gebet und dem Abspielen der Nationalhymne. Kritiker des Großen Zapfenstreichs sehen das militärische Zeremoniell in der unmittelbaren Tradition von preußischen Paraden und Hitlers Fackelzügen und sprechen von einem Symbol des preußischen und deutschen Militarismus.

Derweil gibt es in der Linksfraktion Überlegungen, die Bundespräsidenten-Kandidaten Christian Wulff und Joachim Gauck zu einem Gespräch einzuladen. „Ich bin dafür“, sagte Fraktionschef Gregor Gysi der „tageszeitung“. Die Linke schickt bei der Wahl am 30. Juni als eigene Kandidatin ihre Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen in das Rennen gegen den Kandidaten der schwarz-gelben Koalition, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff (CDU), und den Anwärter von SPD und Grünen, Joachim Gauck.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die einige Tage selbst als Nachfolgerin von Bundespräsident Horst Köhler im Gespräch war, lobte Wulff als echten Vermittler. Wulffs Erfolg in Niedersachsen beruhe auf „Klugheit und der seltenen Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen“, sagte die einstige Sozialministerin in Wulffs Kabinett der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der neue Präsident solle Erfahrung „im praktischen Umsetzen von Politik“ mit ins Amt bringen.

Gysi rechnet nicht damit, dass Wulff in den ersten beiden Wahlgängen scheitert. „Das wird nicht passieren. (FDP-Chef Guido) Westerwelle wird den abtrünnigen FDP-lern sagen: Wenn ihr die Regierung stürzen wollt, wählt Gauck. Wenn nicht, wählt Wulff. Da werden den Ost-FDP-lern die Händchen zittern, dann machen sie das Kreuz bei Wulff.“

Köhlers Abgang hat auch bei sportbegeisterten deutschen Schülern für Verwirrung gesorgt. Schüler, die bei den Bundesjugendspielen eine Ehrenurkunde erringen, bekommen diese zunächst nicht ausgehändigt. „Sie bekommen sie, wenn ein neuer Bundespräsident gewählt ist und sie unterschrieben hat“, sagte Katja Laubinger, Sprecherin des Familienministeriums. Es handele sich jedoch um keinen Ausfall, sondern um einen „zeitlichen Aufschub“. Die Ehrenurkunden der Bundesjugendspiele, deren Schlusswettbewerbe in diesen Tagen stattfinden, unterzeichnet traditionell der Bundespräsident. Durch den Rücktritt von Horst Köhler und den Umstand, dass noch kein Nachfolger gewählt wurde, ist das Problem entstanden.

Das Bundesfamilienministerium wies Meldungen zurück, in denen es hieß, es habe angewiesen, nach Köhlers Rücktritt aus Kostengründen zunächst keine Ehrenurkunden mehr für die Bundesjugendspiele auszugeben.