Erster Ministerpräsident der Linkspartei wird vom Thüringer Landtag im zweiten Wahlgang ins Amt gehoben. Er sagt, er werde auf DDR-Opfer zugehen

Erfurt. Die Dynamik einer Ministerpräsidentenwahl lässt sich immer an der Körperhaltung ablesen. So auch im Thüringer Landtag, am Freitag gegen 11 Uhr. Da war alles Leichte von Bodo Ramelow abgefallen, als der Linkspolitiker zum zweiten Mal zur Wahlurne ging. Ganz anders sein größter Gegner Mike Mohring (CDU). Der hatte ein breites Lächeln im Gesicht, als er federnd zur Kabine im Plenarsaal schritt.

Nur wenige Minuten lag in diesem Moment der erste Wahlgang zurück, der mit einer Überraschung geendet war: Ramelow hatte nur 45 Stimmen erhalten, eine weniger als nötig und vor allem eine weniger als Linke, SPD und Grüne im Thüringer Landtag haben. Irritierte Blicke zwischen den drei Fraktionen: Wer versuchte sich hier als „Bodo-Mörder“? Hinterher beteuerten sie, dass es aus den eigenen Reihen niemand gewesen sein konnte.

Doch wer gehofft hatte, die Wahl zum ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands würde doch noch vereitelt werden, sah sich kurz danach enttäuscht. Im zweiten Wahlgang erhielt Ramelow die erforderliche Stimmzahl: 46. So viele Abgeordnete haben Linkspartei, SPD und Grüne im Landesparlament. Der unbekannte Querulant, er hatte dem neuen Ministerpräsidenten von Thüringen nur einen Denkzettel mit auf den Weg geben wollen. Dagegen gab es beim zweiten Versuch eine Enthaltung und eine ungültige Stimme – aus der Opposition? Egal. Mit fester Stimme sagte Ramelow: „Ich nehme die Wahl an.“

Der 58-jährige gebürtige Niedersachse will mit dem Image des Versöhners ins Amt starten. Schon in seiner Rede nach der Vereidigung erklärte er in Anlehnung an die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, er wolle „versöhnen statt spalten“. All jenen, die in den vergangenen Wochen vor dem Aufstieg der SED-Nachfolgepartei in die Staatskanzlei gewarnt hatten, versuchte er, mit einer historischen Referenz den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nicht seine Wahl sei ein historischer Tag, sagte Ramelow in ungewohnter Bescheidenheit, sondern jener Tag vor 25 Jahren, als die Erfurter mit ihrem Sturm auf die Stasi-Zentrale die Wende eingeleitet hätten.

Später betonte er, er wolle insbesondere auf die zugehen, die in der DDR Unrecht erlitten hätten. Bei den Koalitionsgesprächen hatte sich Ramelow mit dem von den Grünen eingeforderten Bekenntnis zum „Unrechtsstaat“ noch reichlich schwer getan.

Als der Landtag kurz nach 13 Uhr seine Sitzung fortsetzte, war von Ramelow alle Last abgefallen. Die fehlende Stimme aus dem ersten Wahlgang nehme er als warnenden Hinweis sehr ernst, sagte er. Aber jetzt stehe die rot-rot-grüne Mehrheit, und das werde auch so bleiben. Strahlend und geradezu beschwingt ging er ans Rednerpult. Die Kollegen von der Union müssten nun erst einmal abwarten, bis sie hier wieder stehen könnten, sagte er in Richtung der Oppositionsbank. Dann stellte er sein Kabinett vor. Einziger Minister mit bundesweiter Strahlkraft ist dabei wohl Wolfgang Tiefensee (SPD), der Ex-Bundesverkehrsminister und langjähriger Oberbürgermeister von Leipzig. Er übernimmt das Wirtschaftsressort.

Heike Taubert, die gescheiterte SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl, wird Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Der neue Innenminister Holger Poppenhäger hat bereits Regierungserfahrung. Die bisherige grüne Fraktionschefin Anja Siegesmund ist künftig für die Themen Umwelt, Naturschutz und Energie zuständig. Thüringens grüner Landeschef Dieter Lauinger kümmert sich um Justiz, Verbraucherschutz und Energie. Die Linke erhält vier Ministerposten; die wichtige Aufgabe des Staatskanzleichefs übernimmt Benjamin Immanuel Hoff, ein langjähriger Vertrauter Ramelows.

Linke, SPD und Grüne haben sich für die kommenden fünf Jahre viel vorgenommen. Zu den vereinbarten Projekten gehören eine Gebietsreform mit weniger Kreisen sowie die Einführung eines kostenlosen Kita-Jahres – doch alle Vorhaben stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Die Koalitionäre wollen stets nur ausgeglichene Haushalte vorlegen und keine neuen Schulden machen. Nächste Woche hat Ramelow seinen ersten bundespolitischen Termin. Am Donnerstag nimmt er am Treffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil.

Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, drückte sein Bedauern über die Wahl Ramelows aus. „Das ist kein guter Tag für Deutschland und erst recht nicht für die Opfer der SED-Diktatur“, sagte Knabe und bedauerte, „dass nicht ein einziger Abgeordneter von SPD und Grünen den Mut besessen hat, diese Koalition zu verhindern, das ist für viele ehemalige Verfolgte eine große Enttäuschung“.

Während für Ramelow der Kampf um die Macht vorerst vorbei ist, hat er für einen anderen gerade erst begonnen. Mike Mohring muss sich nun in der zutiefst zerstrittenen CDU durchsetzen und die verunsicherte Partei wieder aufbauen. Die Wunde, die der Streit um die Nachfolge von Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus in der Thüringer Union hinterlassen hat, ist nie geschlossen worden. Auch das war einer der Gründe, warum Althaus‘ Nachfolgerin im Amt, Christine Lieberknecht, als Ministerpräsidentin glücklos blieb. Wie uneins die CDU ist, hatte sich zuletzt am Gezerre um einen möglichen Gegenkandidaten für die Ministerpräsidentenwahl gezeigt. Am Ende kam die CDU nicht in die Verlegenheit, antreten zu müssen. Kurz nach der Wahl gab sich Mohring kampfeslustig. „Das Scheitern im ersten Wahlgang zeigt, dass Bodo Ramelow eigentlich keine Mehrheit hat“, sagte er. Mohring selbst hat nicht ein innerparteiliches Problem. Als einziger strategischer Partner steht der CDU momentan nur die AfD zur Verfügung.