Wie groß ist der Schaden durch die Späh-Affäre? Das Abendblatt im Gespräch mit dem neuen US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson.

Hamburg . Man kann sich sicherlich einen günstigeren Zeitpunkt für den Amtsantritt eines amerikanischen Botschafters in Deutschland vorstellen als ein Zusammentreffen von Haushaltssperre, fiskalischer Klippe und obendrein NSA-Skandal. Erst seit Mitte August ist Barack Obamas neuer Mann in Berlin, John B. Emerson, im Amt. Bereut er schon, nach Deutschland gekommen zu sein? „Überhaupt nicht“!, versichert der Diplomat im Gespräch mit dem Abendblatt bei seinem ersten Hamburg-Besuch. „Als Präsident Obama mich bat, Botschafter in Deutschland zu werden, wusste ich, dass das ein sehr wichtiger und interessanter Posten werden würde. Wichtig nicht nur für den jetzigen Zeitpunkt, sondern weil die deutsch-amerikanischen Beziehungen so wichtig für die Zukunft unserer beiden Länder sind. Ich bin wirklich froh, hier zu sein – und ich bin überwältigt von dem warmherzigen Empfang, den die Deutschen mir und meiner Familie bereitet haben.“

Nun gibt es dieser Tage ernsthafte Stimmen, die die bilateralen Beziehungen in der schwersten Krise seit Jahrzehnten sehen. Wie groß ist der Schaden denn? „Ich unterschätze keine Minute lang, wie tiefgehend und intensiv die Reaktionen des deutschen Volkes und auch der Bundesregierung bezüglich dieser Anschuldigungen sind. Und ich habe das sehr, sehr deutlich und detailliert nach Washington gemeldet. Und Washington tut auch etwas: Unsere Regierung vom Präsidenten abwärts reagiert und nimmt die Besorgnisse der Deutschen sehr ernst. Wir hatten vorige und diese Woche Sitzungen von hochrangigen Geheimdienstvertretern und Sicherheitsberatern beider Staaten auf höchster Ebene. Ferner hat der Präsident eine Untersuchung darüber angeordnet, wie unsere Geheimdienste Informationen sammeln. Dies konzentriert sich auf die Frage, ob wir Dinge tun, weil wir sie tun müssen – oder einfach, weil wir sie vom technologischen Vermögen her tun können. Es soll nun klargestellt werden, dass wir nur solche Dinge tun, die wir tun müssen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen Mitte bis Ende Dezember vorliegen.“

Er mache sich nichts vor, sagt Emerson, der schon Bill Clinton als Handelsexperte diente und Schatzmeister der Demokratischen Partei war. „Ich habe seit dem Tag, als ich das Flugzeug in Deutschland verlassen habe, betont, dass es zu meinen absoluten Prioritäten gehören muss, das Vertrauen zwischen unseren beiden Staaten wieder zu stärken und auszubauen. Wir werden das schaffen, weil wir das schaffen müssen: Es geht hier um Beziehungen, die mehr als 60 Jahre alt sind.“

Die Meinung eines seiner Vorgänger, des früheren US-Botschafters John Kornblum, dass es im Verhältnis der beiden Staaten eher um Partnerschaft als um Freundschaft gehe, teilt John B. Emerson gar nicht. „Die beiden Begriffe schließen sich doch nicht aus. Wir sind Partner und Freunde. Wenn man 65 Millionen Amerikaner mit deutscher Abstammung hat, wenn mehr als eine Million amerikanische Soldaten und Soldatinnen im Laufe der letzten vier Jahrzehnte in Deutschland Dienst geleistet haben, von denen viele Deutsche geheiratet haben, mit ihnen Kinder bekamen, die zeitweise hier zur Schule gingen , wenn man zudem mehr als eine Million Menschen hat, die als Amerikaner bei deutschen Unternehmen angestellt sind oder als Deutsche bei amerikanischen, und wenn man derart lang währende, starke Beziehungen zwischen den Chefs von Unternehmen und den politischen Führern beider Staaten hat, dann ist es doch gar keine Frage, dass wir auch Freunde sind. Aber Freunde können sich gegenseitig auch enttäuschen, und es ist wichtig um dieser Freundschaft willen, dass man das auch ehrlich einräumt und dann hart an der Freundschaft arbeitet.“

„Nicht zu viel in die Infrarotbilder interpretieren“

Auf die Frage, was in dem Gebäude der Berliner Botschaft so vor sich gehe, sagt Emerson, es habe in den Medien viele Bilder und Mutmaßungen über die elektronische Ausstattung des Gebäudes gegeben, und dazu sei zu sagen, dass eine Botschaft nun einmal ein Kommunikationszentrum sei. „Wir empfangen Informationen, wir senden Informationen, wir haben Satellitenschüsseln auf dem Dach, wie das wohl bei jeder Botschaft auf der ganzen Welt der Fall ist. Wir haben natürlich auch geheime Kommunikation, die zwischen Berlin und Washington hin und her geht. Das haben übrigens auch viele Wirtschaftsunternehmen; ich würde also nicht zu viel in die Infrarotbilder hineininterpretieren, die in der Presse erschienen sind.“ Angesprochen auf Berichte, dass in der Botschaft eine Eliteeinheit aus den Geheimdiensten NSA und CIA tätig sei, wird Emerson allerdings stumm wie Abraham Lincolns Statue in Washington. Auch eine Antwort auf die Frage, was es für die deutsch-amerikanischen Beziehungen bedeuten würde, wenn Deutschland dem NSA-Whistleblower Edward Snowden Asyl gewähren würde, lehnt Emerson als „zu hypothetisch“ ab. „Einige meinen, Snowden sei ein Held. Meine Meinung ist, dass es viele Wege innerhalb des amerikanischen Rechts und der Politik gegeben hätte, seine Besorgnisse zu äußern. Er hätte etwa zu den zuständigen Ausschüssen im Kongress gehen können. Es gibt im Senat und im Repräsentantenhaus eine ganze Reihe von Leuten, die sich dafür sofort interessiert hätten. Snowden hat sich zur Geheimhaltung verpflichtet, und er hat dieses Gelöbnis gebrochen.“ Damit habe er die Interessen der USA und ihrer Verbündeten beschädigt.

Das Problem bezüglich der NSA-Spionage sei eben auch eine Frage des gegenseitigen Verständnisses. „Es ist gleichermaßen wichtig für Amerikaner, zu begreifen, wie sehr sich die deutsche Geschichte auf das Bedürfnis der Deutschen nach Privatsphäre ausgewirkt hat, und für Deutsche, die amerikanische Geschichte zu begreifen“, betont Emerson, der im Januar 60 Jahre alt wird. „Jedem Amerikaner über fünfzehn Jahren haben sich die Bilder von Flugzeugen, die in Gebäude fliegen, in die Erinnerung eingebrannt. Wir hatten Schuh-Bomber, Unterhosen-Bomber, Marathon-Bomber und dann jenen Kerl, der einen Geländewagen voller Sprengstoff mitten auf dem belebten Times Square abgestellt hatte – Gott sei Dank ist das nicht richtig explodiert. Es kann also durchaus zwei Menschen geben, die dieselben Werte und Rechtsauffassungen teilen, die aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen die Frage, wie die richtige Balance zwischen Sicherheit der Bürger und Schutz ihrer Privatsphäre herzustellen ist, ganz unterschiedlich beantworten.“ Für drei Generationen von Amerikanern seien jene Erinnerungen so unvergesslich wie „für meine Generation die Ermordung von John F. Kennedy oder für meine Eltern-Generation (der japanische Angriff 1941 auf) Pearl Harbor. Das sind die Schlüsselmomente, von denen jeder weiß, wo er gerade war. Ich selber sollte am 11. September 2001 nach New York fliegen. Dieser Tag veränderte unsere ganze Welt.“

Als Botschafter der USA in Deutschland will John B. Emerson die Beziehungen auf dreierlei Weise reparieren. „Zum einen, indem ich ganz offen mit dem Problem umgehe, mit vielen Menschen hier rede, um zu verstehen, wie sie fühlen und denken, und dies direkt nach Washington berichte. Zum zweiten zunächst zu registrieren, was aus der Untersuchung herauskommt, die der Präsident in Auftrag gegeben hat und dann dies den Menschen hier in Deutschland erklären. Und drittens indem ich im Land herumreise und mit den Menschen über die Werte und Interessen rede, die uns verbinden. “

Emerson will in seiner Zeit in Berlin auch seinen eigenen Wurzeln nachspüren. „Soweit ich weiß, kamen meine Vorfahren aus Hannover und Hamburg. Die Vorfahren meiner Frau Kimberley stammten aus Hessen.“ Die Emersons haben drei Töchter. Die älteste, Jacqueline, ist Kinogängern vertraut: Sie spielte die Rolle des „Fuchsgesichts“ im Hollywood-Kassenknüller „Die Tribute von Panem“. Gerade hat sie ein Studium an der Eliteuni von Stanford aufgenommen. Die beiden anderen Töchter leben mit den Emersons in Berlin. Was hat er ihnen mit auf den Weg gegeben? „Behandle andere so, wie du selber behandelt werden möchtest. Vertraue deinem eigenen Urteil. Arbeite hart. Aber habe Spaß im Leben und genieße jeden einzelnen Tag.“