Von der Leyen stößt mit ihren Plänen zur Zuschussrente auf heftigen Widerstand. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Berlin/Hamburg. Es war im April 1986, als der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) eine spektakuläre Aktion startete: Er ließ 15 000 Plakate mit seinem wohl berühmtesten Zitat an die Litfaßsäulen der Bundesrepublik kleben. "Denn eins ist sicher: Die Rente", prangte den Bürgern entgegen. Blüm hatte recht, denn die gesetzliche Rente bleibt sicher und mit einer Rendite von 3,0 bis 3,8 Prozent sogar ertragsstärker als manche private Absicherung in der Euro-Krise. Doch das Rentenniveau sinkt - politisch gewollt von 50 Prozent (1990) auf heute 46 und demnächst 43 Prozent. Der Grund ist, dass immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren müssen.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) plant eine Zuschussrente, die demjenigen 850 Euro monatlich garantiert, der lange Jahre gearbeitet und privat vorgesorgt hat. Der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats und Leiter von Reformkommissionen, Prof. Bert Rürup, nannte die Pläne im Abendblatt im Prinzip vernünftig: "Die meisten OECD-Staaten haben seit Langem ähnliche Regelungen umgesetzt. Derzeit gibt es ein Gerechtigkeitsproblem: Wer Vollzeit gearbeitet hat und lange Jahre beschäftigt war und nur eine gesetzliche Rente auf Sozialhilfeniveau bekommt, steht nicht besser da als jemand, der nicht gearbeitet hat." Rürup warnte davor, das Rentenniveau einzufrieren: "Das wäre nur eine teure und wenig zielgenaue Scheinlösung. Der Beitragssatz würde bis 2030 auf 24 Prozent und bis 2040 auf über 26 Prozent steigen, und jemand, der 7,50 Euro die Stunde verdient, wäre dennoch mit seiner Rente immer unter dem Grundsicherungsniveau." Der Beitragssatz soll bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Rürup warnte auch: "Jemand, der 7,50 Euro die Stunde verdient, wäre dennoch mit seiner Rente immer unter dem Grundsicherungsniveau. Mindestlöhne, die dies verhindern würden, wären so hoch, dass sie durch negative Beschäftigungswirkungen ein neues Altersrisiko darstellen würden."

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen:

Was ist der Sinn der Zuschussrente?

Die Zahl der 20- bis 64-Jährigen schrumpft bis 2030 um etwa fünf Millionen auf dann rund 45 Millionen. Die Zahl derjenigen, die älter als 65 sind, nimmt auf 22 Millionen zu. 1980 kamen 3,8 Erwerbsfähige auf einen Rentner, 2010 waren es rund drei. 2030 könnte sich das Verhältnis auf 2:1 verschlechtern. Wegen der großen Zahl an Niedrigverdienern werden künftig immer mehr Menschen eine gesetzliche Rente unterhalb der Grundsicherung haben. Derzeit haben etwa 2,4 Prozent der Deutschen über 65 Anspruch auf die Grundsicherung (374 Euro für Alleinstehende, Leistungen für Wohnung und Heizung plus Hilfen zum Lebensunterhalt). Experten sehen eine Altersarmut langsam anschwellen. Das Arbeitsministerium rechnet nach Zahlen, die dem Abendblatt vorliegen, so: Im Jahr 2013 gibt es 26 000 Menschen, die die Zuschussrente beziehen, 2025 sind es 934 000, und im Jahr 2030 werden es 1,35 Millionen Menschen sein.

Wie sieht das Modell aus?

Eine Aufstockung der Rente auf 850 Euro monatlich bekommt, wer 40 Versicherungsjahre hat, davon 30 Beitragsjahre. Zu den Versicherungsjahren zählen auch Zeiten der Ausbildung (ab dem 17. Lebensjahr), Kindererziehung und Arbeitslosigkeit. Ab dem Jahr 2023 sind 45 bzw. 35 Jahre erforderlich. Verpflichtend ist ab dem Jahr 2018 eine private Altersvorsorge, wie etwa eine Riester-Rente. Somit wird ein gleitender Übergang gewährleistet. Die private Altersvorsorge wird am Ende nicht auf die gesetzliche Rente angerechnet.

Wie wird die Zuschussrente finanziert?

Mehrheitlich aus Steuermitteln. Zurzeit schießt der Finanzminister jedes Jahr rund 80 Milliarden Euro in die Rentenkasse, um "versicherungsfremde Leistungen" wie Kindererziehungszeiten für die Rentenberechnung zu finanzieren. 2013 soll die Zuschussrente 100 Millionen Euro kosten, 2020 insgesamt 1,4 Milliarden, 2030 dann 4,1 Milliarden Euro. Ein Teil des Geldes kommt dadurch herein, dass an der Grundsicherung gespart wird.

Hat von der Leyen mit Zahlen getrickst?

Die Arbeitsministerin rechnete vor, dass mit einem Einkommen von 2500 Euro monatlich nach 35 Beitragsjahren in Vollzeit nur 688 Euro Rente herauskämen. Allerdings werden dabei Lohnsteigerungen vernachlässigt sowie die Tatsache, dass Beitrags- und Versicherungsjahre für die Rente zählen. Nicht einmal der Bundesverband der Rentenberater kann sich von der Leyens Schreckensszenario erklären. Präsident Martin Reißig kam bei einer Überschlagsrechnung auf einen deutlich höheren Betrag. Tatsache ist, dass der deutsche Standard-Rentner (45 Versicherungsjahre, jedes Jahr das Durchschnittseinkommen verdient) zurzeit 1230 Euro aus der gesetzlichen Rente bekommt. Das Haushaltseinkommen des Rentnerhaushalts liegt deutlich darüber, wie die letzte Erhebung aus dem Jahr 2008 gezeigt hat.

Was sagen die Kritiker?

Der CDU-Wirtschaftsrat und die FDP lehnen von der Leyens Vorschlag ab: "Eine Umverteilung innerhalb des gesetzlichen Rentenversicherungssystems unter den Beitragszahlern kann für uns Liberale nicht infrage kommen", sagte FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte von der Leyens Konzept "ungerecht, falsch finanziert, bürokratisch, teuer und zur Bekämpfung von Altersarmut ungeeignet". Auch die Gewerkschaften sind dagegen.

Hat die Riester-Rente für Niedrigverdiener überhaupt Sinn?

Dass eine private Altersvorsorge zwingend ist, wissen alle Bürger. Rund15,6 Millionen Deutsche riestern derzeit. Der Verband der Rentenberater warnt allerdings, dass sich Kleinverdiener auch wenige Euro für eine Riester-Versicherung nicht leisten können. "Für sie sind auch fünf oder zehn Euro im Monat viel Geld", so Verbandspräsident Martin Reißig. Die Rentenversicherung beteuert, dass sich selbst kleine Beiträge lohnen, um mit den staatlichen Zuschüssen eine ordentliche Riester-Rente aufzubauen. Rentenexperte Rürup sagte zur Vorsorgepflicht für künftige Zuschussrentner: "Über die hohen Hürden für die geplante Zuschussrente wird man im Einzelnen reden müssen. Aber unsinnig sind sie nicht, wenn man zielgenau das Bemühen honorieren will, im Alter nicht hilfsbedürftig zu sein."