Deutsche Mediziner fordern 3,5 Milliarden Euro mehr. Proteste auch in Hamburg erwartet. Wartezeiten in Praxen könnten noch länger werden.

Hamburg/Berlin. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit, der zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den rund 150.000 niedergelassenen Ärzten in Deutschland entbrannt ist. Welche Zahlen sind die richtigen, und welche lassen sich in diesem Streit ums Geld instrumentalisieren? Die Ärzte fordern 3,5 Milliarden Euro mehr an Honoraren. Die Kassen wollen um 2,2 Milliarden Euro kürzen. Beide Seiten sagen, sie haben die Versicherten und Patienten im Blick.

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Nun wird nach dem "Schlichterspruch" des Essener Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem das Honorar um 0,9 Prozent oder 270 Millionen Euro angehoben. Vermutlich kommen weitere Ausgleichszahlungen hinzu, sodass 300 Millionen Euro mehr im Topf sind. "Ich kenne keinen Tarifabschluss, der so niedrig ausgefallen wäre", sagte der Hamburger HNO-Arzt und Präsident des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich.

Die Ärzte machen gestiegene Kosten für ihren Mehrbedarf verantwortlich. Die Kassen haben ein Gutachten bei Prognos in Auftrag gegeben, das zeigt: Die Ärztehonorare sind zuletzt deutlich höher gestiegen als deren Kosten. Deshalb seien Einbußen für die Mediziner verkraftbar.

Diese Expertise sei das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurde, kritisieren die Ärzte. Die Krankenkassen sitzen derzeit auf einem Finanzpolster von gut elf Milliarden (Kassenaussage) oder 20 Milliarden Euro (Ärzteannahme). Ein Teil dieses Geldes solle über die ärztliche Versorgung den Patienten zukommen. Die Kassen wollen lieber sparen und Zusatzbeiträge vermeiden.

Der Vizechef des Kassenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, sagte: "Trotz der beeindruckenden Steigerungen der letzten Jahre werden die Honorare der Ärzte weiter steigen, wenn auch nicht in dem Umfang, wie es ihre Verbandsvertreter angestrebt hatten." HNO-Arzt Heinrich sagte, die Gehälter der Praxismitarbeiter und deren Zuwächse in den vergangenen Jahren müssten dennoch gezahlt werden. Ein langsamer Personalabbau sei denkbar. "Dadurch gibt es immer längere Wartezeiten für die Patienten."

Die Hamburger Ärzte werden die Verhandlungen auf Landesebene abwarten, rechnen aber mit Protesten im Herbst. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, sagte, das Ergebnis sei fatal. Die Ärzteschaft werde sich so nicht behandeln lassen. Dass die Krankenkassen so rigide verhandeln, liegt auch an ihrer Furcht, dass die Praxisgebühr schnell abgeschafft wird. Dadurch würden den Kassen insgesamt pro Jahr knapp zwei Milliarden Euro fehlen. Einige hätten dann Finanzsorgen. Der Gesundheitsexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn (CDU), kritisierte die Wortwahl der Kassen: "Das vergiftet dauerhaft das Klima zwischen Ärzten und Kassen."

In Hamburg gibt es drastische Unterschiede bei den Honoraren. Die Krankenkassen und ihre Verbände sprechen von sehr guten Einkünften der niedergelassenen Mediziner in der Stadt. Doch die scheinen nicht bei allen anzukommen. Vor allem Hamburgs Hausärzte beklagen, dass sie verglichen mit ihren Kollegen kaum mehr als einen Gotteslohn erhalten. Tatsächlich haben die Allgemeinmediziner - bei höheren Mieten, Personal- und weiteren Kosten - bundesweit gesehen ein eher geringes Honorar. Gut 5200 Euro Monatseinkommen nach Abzug der Praxiskosten - nur in Berlin, Bayern und Baden-Württemberg wird etwas weniger gezahlt. Das geht aus Zahlen der Krankenkassen hervor. Nach Angaben des Hausärzteverbandes ist Hamburg sogar Schlusslicht. Auch Hamburgs Psychotherapeuten mit eigener Praxis verdienen auf diesem Niveau.

"Die Hausärzte sind besonders gekniffen", sagte ein Internist dem Abendblatt, der ungenannt bleiben möchte. "Sie haben bei der Honorarverteilung das Nachsehen. Dabei machen sie Kärrnerarbeit, versorgen viele chronisch Kranke, machen Hausbesuche und haben kaum Privatpatienten."

Doch auch dieser Auskunftgeber hat in den vergangenen Jahren in einer Dreierpraxis erfahren, wie die Gesamthonorare von etwa 800.000 Euro auf 400.000 Euro im Jahr sanken - vor Abzug der Kosten. Andere beklagen, dass die Krankenkassen sie in Regress nehmen, weil sie zu viele teure Medikamente verschrieben haben.

So geht der Trend zu größeren Praxen, um das wirtschaftliche Risiko breiter zu streuen. In Hamburg hat der Klinikbetreiber Asklepios Arztsitz um Arztsitz aufgekauft, um in die ambulante Versorgung einzusteigen. Das sehen viele alteingesessene Mediziner skeptisch. Von den etwa 4400 niedergelassenen Ärzten in Hamburg sind etwa 600 angestellt (Zahlen von 2010). Fünf Jahre zuvor waren es nur 81. Allerdings ist ein Grund dafür auch, dass die Medizin "weiblicher" wird. Mehr Frauen arbeiten als Ärztinnen, und ihnen kommen Angestelltentätigkeit und Teilzeitmodelle häufig entgegen.