Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger verschärft Angriffe gegen Linkskurs. Politikberater Michael Spreng: Die Stammwähler bleiben reihenweise zu Hause.

Berlin. Die Kritik am Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich am Wochenende weiter verstärkt. Führende Unionspolitiker forderten von der CDU-Chefin angesichts sinkender Umfragewerte einen Kurswechsel, um das Parteiprofil zu schärfen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) erneuerte seine im Hamburger Abendblatt geäußerte Kritik und forderte im "Spiegel": "Es muss klar sein, dass nun das Kapitel der Großen Koalition abgeschlossen ist." Und weiter: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, die CDU sei die Partei der Verstaatlichung." Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) warnte im "Focus", es dürfe nicht Unions-Strategie sein, sich um die Konservativen nicht besonders zu kümmern. Die Gefahr sei groß, "dass diese Rechnung nicht aufgeht".

Der Vorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Thüringens früherer Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), rief seine Partei sogar zu einer Rückbesinnung auf ihre traditionelle Wählerschaft auf. "Dass wir uns in den nächsten Monaten vor allem um unsere klassische Stammwählerschaft kümmern müssen, das steht für mich außer Frage", sagte er.

Doch nach Informationen des Abendblatts könnte Merkels Strategie für die Bundestagswahl im Gegenteil darauf hinauslaufen, mit einer Öffnung nach links besonders viele der zwischen SPD und Union unentschiedenen Wähler zu gewinnen. Deren Anteil an der Gesamtwählerschaft wird auf gut 20 Prozent geschätzt. Die klassisch konservative Klientel, die bisher traditionell immer ihr Kreuz bei der Union macht, macht demzufolge nur höchstens zehn Prozent aus. Diese Wählergruppe, so eine mögliche Lesart, würde bei der Wahl mangels Alternativen ohnehin wieder ihr Kreuz bei der Union machen.

"Die Strategie der Kanzlerin, die CDU für Wähler der SPD zu öffnen, ist im Prinzip zwar richtig, da der bürgerliche Kuchen gemeinsam mit der FDP so größer werden kann", sagte der Politikberater Michael Spreng dem Hamburger Abendblatt. "Aber sie hat es versäumt, die christliche und konservative Stammklientel weiter an die Partei zu binden." Seine Diagnose: "Die von Merkel initiierte Öffnung zur linken Mitte ist für die Partei zum Problem geworden, weil der bürgerliche Markenkern jetzt nicht mehr erkennbar ist." "Zwar mag der Anteil der klassisch konservativ gesinnten Wähler gemessen an der Gesamtwählerschaft klein sein", räumte Spreng ein. "Doch wenn diese reihenweise zu Hause bleiben, ist das verdammt viel Holz. Schon ein bis zwei Prozentpunkte können am Wahltag den Unterschied ausmachen."

Insbesondere in der CSU wächst die Sorge, dass die eigene Stammklientel durch Merkels Kurs abgeschreckt werden könnte. Nach Informationen des Abendblatts wurde Merkel in Bayern zuletzt ihr Verzicht auf einen Schulterschluss mit der aus Polen und von der SPD attackierten Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach stark verübelt. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte jetzt dem "Spiegel": "Es kann nicht sein, dass in der Union allein die CSU für das konservative Profil zuständig ist." CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla reagierte auf den Chor der Kritik und mahnte mehr Geschlossenheit an. "Sobald in der Union kontrovers diskutiert wird, wirkt sich das negativ auf Umfragewerte aus", sagte er der "Berliner Zeitung". Das sieht auch Spreng so: "Uneinigkeit wird vom Wähler bestraft. Jede Kritik macht es Merkel jetzt schwerer."