Es waren furchtbare Szenen in der Albertville-Realschule in Winnenden heute Morgen: Der ehemalige Schüler (17) Tim K. stürmte in das Gebäude und schoss wahllos um sich. Er tötete dreizehn Menschen vor Ort und erschoss zwei weitere Personen während seiner Flucht. Laut Polizeiangaben hatte der Täter geplant, noch mehr Menschen zu töten. Der Rektor soll mit Hilfe einer verschlüsselten Lautsprecherdurchsage vor dem Amokläufer gewarnt haben. Bilder zum Amoklauf in Winnenden.

Winnenden. Ein 17-Jähriger richtete heute Morgen in der Kleinstadt Winnenden ein Blutbad an. Er rannte gegen halb zehn in seine ehemalige Schule, die Realschule Albertville, und schoss wahllos um sich.

Der Rektor der Schule soll durch eine verschlüsselte Lautsprecherdurchsage die Menschen im Gebäude gewarnt haben. "Frau Koma kommt", habe der Rektor durchgesagt, während Tim K. mordend durch die Klassenzimmer zog, berichtete eine Schülerin der Realschule in der ZDF- Sendung "heute" am Mittwochabend. Sie fügte hinzu: "Das heißt ja Amok rückwärts. Dann hat die Lehrerin die Tür abgeschlossen."

Später flüchtete der 17-jährige Tim K. mit einem Auto in das 40 Kilometer entfernte Wendlingen und lieferte sich einen Schusswechel mit Polizisten in einem Supermarkt. Dabei wurde der junge Mann von einem Polizisten am Bein verletzt. Daraufhin soll sich der Amokläufer selbst in den Kopf geschossen haben. Die Tatwaffe gehört seinem Vater. Zunächst hatte die Polizei erklärt, der Todesschütze sei von einem Beamten erschossen worden.

An der Albertville-Realschule im baden-württembergischen Winnenden bei Stuttgart spielten sich gegen 9.30 Uhr dramatische Szenen ab: Der schwarz gekleidete Tim K. schoss in zwei Klassenzimmern um sich. Er tötete neun Schüler im Alter von 14 bis 15 Jahren und drei Lehrerinnen. Auf seiner fast dreistündigen Flucht erschoss der 17-Jährige mit seiner Pistole drei Passanten und verletzte mehrere Schüler und Unbeteiligte schwer.

Eine Lehrerin der Albertville-Realschule handelte in der schwierigen Situtation sehr geistesgegenwärtig. Nachdem Tim K. in ihre Klasse gelaufen war und drei oder vier Kinder erschossen hatte, verließ er kurz den Klassenraum um nachzuladen. In der Zeit verschloss die Lehrerin blitz schnell die Tür und verhinderte weitere Bluttaten. Ein Sicherheitsexperte nannte die Frau "eine Heldin".

Laut Polizei verhinderten auch die Einsatzkräfte Schlimmeres: Anscheinend wollte der Amokläufer noch mehr Schülerinnen und Schüler töten. Im Treppenhaus wurden unzählige Patronen gefunden. "Der Täter hatte in der Schule möglicherweise weitaus mehr vor, als er dann angerichtet hat", sagte der Leiter der Waiblinger Polizei, Ralf Michelfelder, am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz. Mutige Streifenpolizisten hatten den Täter schon wenige Minuten nach den ersten Taten verfolgt und somit zur Flucht getrieben. "Wenn man sich die Schule anschaut und die nicht benutzte Munition auf dem Boden betrachtet, kann man nachvollziehen, was noch hätte geschehen können", sagte auch Landespolizeipräsident Erwin Hetger.

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) sagte, den Interventionsteams der Polizei habe sich Augenblicke nach dem Notruf ein "grauenvolles Bild" in der Schule geboten. Tim K. war kurz zuvor geflüchtet und hatte einen Beschäftigten des nahegelegenen Krankenhauses für psychisch Kranke erschossen. "Ich habe sechs bis sieben Schüsse gehört. Ich darf meine Station nicht mehr verlassen", berichtete eine Mitarbeiterin der Psychiatrie.

Nach dem Amoklauf von Winnenden musste ein 41-jähriger Mann den Todesschützen aus der Stadt bringen. Der 17- jährige Amokläufer setzte sich auf die Rückbank, fuchtelte mit seiner Pistole und zwang den Fahrer eines VW-Sharan in Richtung Tübingen zu fahren. Die Fahrt ging weiter nach Nürtingen und über die Bundesstraße 313 in Richtung Wendlingen, erklärte die Polizei am Mittwoch. Erst an einer Kontrollstelle der Polizei bei dem Autobahnkreuz Wendlingen musste der Fahrer in einer Kurve stark abbremsen und geriet auf einen Grünstreifen. Hier gelang es ihm, aus den Fängen des Amokläufers zu fliehen.

Er informierte die Polizei darüber, dass der junge Mann zu Fuß in Richtung des nahegelegenen Industriegebiets unterwegs sei. Tim K. drang in ein VW-Autohaus ein und erschoss dort zwei Angestellte. Als er das Gebäude verließ, eröffnete er das Feuer auf Polizisten und verletzte zwei Beamte schwer. Er selbst wurde dann tödlich getroffen.

Über das Motiv für das Massaker wird noch gerätselt. Tim K. sei völlig unauffällig gewesen, habe einen Abschluss an der Schule gemacht und eine Ausbildung begonnen, sagte Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau (CDU). Ein Großaufgebot von knapp 1000 Polizisten war im Einsatz und sperrte Schule und Teile der Stadt Winnenden ab. "Es herrscht blankes Entsetzen", berichtete ein Augenzeuge. Auffällig ist, dass Tim K. hauptsächlich Mädchen erschossen hat. Doch daraus könne man kein Motiv ableiten, so Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech.

Ob der Täter von einem Amoklauf in den USA wenige Stunden zuvor beinflusst worden war, stand zunächst nicht fest. Bei dem Amoklauf im US-Bundesstaat Alabama kamen am Dienstagnachmittag (Ortszeit) elf Menschen ums Leben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich "tief erschüttert und entsetzt". Man stehe fassungslos vor den Ereignissen in Baden- Württemberg, sagte Merkel. "Es ist unfassbar, dass binnen Sekunden Schüler, Lehrer in den Tod gerissen wurden, durch ein entsetzliches Verbrechen."

Die Eltern des Täters besitzen legal Waffen. Der Amokläufer hat nicht nur die Tatwaffe von seinem Vater entwendet, auch die "Munition im dreistelligen Bereich" habe er aus dem Elternhaus in Leutenbach, sagte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU). Im Tresor des Hauses hatte der Vater 14 Waffen deponiert, eine weitere im Schlafzimmer. "Der Täter muss also die Waffe im Schlafzimmer an sich genommen haben", sagte Rech.

Kurz nach der Tat versuchten fast 1000 Polizisten, den Mann zu finden sowie Schüler und Passanten in Sicherheit zu bringen. Die Realschule, die von 580 Schülern besucht wird, wurde evakuiert, das Gebiet weiträumig abgesperrt. "Die ganze Stadt gleicht einer Festung", sagte ein Augenzeuge.

Neun Stunden nach der Tat sind die Leichen der Lehrer und Schüler abtransportiert worden. Mindestens sechs Leichenwagen fuhren laut Augenzeugenberichten auf dem Schulhof vor. Ca. 300 Schaulustige versammelten sich vor der Absperrung, die die Polizei errichtet hatte.

Der Bund ordnete auf Grund der Tragödie Trauerbeflaggung an. Ein Regierungssprecher sagte am Mittwoch in Berlin, sowohl am (morgigen) Donnerstag als auch am Tag einer Trauerfeier würden die Flaggen auf halbmast gesetzt. Dies gelte für Bundestag, Bundesministerien und alle anderen Bundesbehörden.

Die Bluttat ruft Erinnerungen an den Amoklauf von Erfurt wach: Am 26. April 2002 hatte ein ehemaliger Schüler des Gutenberg-Gymnasiums innerhalb weniger Minuten 16 Menschen und dann sich selbst erschossen. Die Stadt Erfurt und das Land boten Baden-Württemberg Hilfe bei der Betreuung von Schülern oder der Angehörigen von Opfern an. Es könnten kurzfristig speziell geschulte Notfallpsychologen entsandt werden, erklärte Kultusminister Bernward Müller (CDU).