Wirtschaftsminister Philipp Rösler zeigt sich um die Versorgungssicherheit besorgt. Die FDP rüttelt an den Subventionen für Ökostrom.

Cuxhaven. Philipp Rösler zieht sich wieder um. Er hängt die grelle Sicherheitsjacke zurück an den Haken, legt Helm und Handschuhe beiseite und fährt sich mit den Händen kurz durch das Haar. Eben noch stand der Bundeswirtschaftsminister knapp 30 Meter über der Nordsee, oben auf dem Hubschrauberlandeplatz der Bohr- und Förderinsel "Mittelplate A", eine gute halbe Stunde Schifffahrt von Cuxhaven entfernt. Rösler ist jetzt fertig mit dem Rundgang zum Bohrturm und in den Keller der Plattform, dort, wo das Öl kilometertief aus dem Boden der Nordsee gefördert wird. Rösler ist jetzt auch fertig mit den Interviews und Pressestatements, die Fotos sind gemacht, und auch der Eintrag ins Gästebuch der Bohrinsel. Also, Abfahrt.

Es ist ein Sommer, in dem es viele Fotos von Philipp Rösler in Schutzweste oder mit Helm gibt. Anfang des Monats besuchte der Minister gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltminister und FDP-Kollegen Stefan Birkner den Offshore-Windpark "Alpha Ventus". Und im Juni ließ sich Rösler von den Fotografen bei einem Besuch des Kohlekraftwerks in Hamm ablichten. Rösler reist fleißig durch die Energierepublik Deutschland. Und er reißt fleißig das Thema Energiewende an sich und sein Ministerium.

+++ Rösler macht Energiewende zur Hauptaufgabe +++

In der Euro-Krise gelang es dem Parteichef der Liberalen bisher nur selten, aus dem Schatten von Kanzlerin Angela Merkel hervorzutreten und die Debatte voranzutreiben. Bei der Energiewende klappt das prächtig. Und aus seinen Ambitionen macht Rösler kein Geheimnis. Im Gegenteil: Seine "Energiereise" flankiert er mit wuchtigen Sätzen und passenden Nachrichten.

"Die Energiewende ist eine Aufgabe von historischer Dimension und neben der Euro-Krise für mich das wichtigste Thema", sagt er in "Bild am Sonntag". Die Abteilung "Energiepolitik" des Ministeriums will er personell verstärken. Geplant seien 20 neue Stellen, die bis 2018 befristet sind. Rösler forderte unlängst eine Lockerung der europäischen Umweltstandards, um Investitionen in den Ausbau der fehlenden Stromtrassen zu erleichtern. Und der Minister attackiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). "Wir brauchen bei den erneuerbaren Energien nicht nur eine Kürzung der Fördersätze, sondern ein neues System", verlangt er im "Focus".

+++ Altmaier: Länder verzögern Energiewende +++

Rösler warnt, fordert, mischt sich ein. Und in seinen Sätzen über die Energiewende klingt immer auch eine Skepsis durch, ob das schwarz-gelbe Projekt gelingen kann, in welcher Zeit und mit welchen Kosten. Unterstützt wird der Parteichef von seinem früheren Generalsekretär und jetzigen NRW-Chef der Liberalen, Christian Lindner. Der will nun das EEG gleich ganz abschaffen.

Das Fördergesetz sei nicht mehr zeitgemäß, weil es mit Dauersubventionen zu instabilen Stromnetzen und Preissteigerungen führe. Nötig sei ein marktwirtschaftliches System, bei dem Effizienz und Kosten ins Zentrum der Energiewende rückten. Röslers FDP gibt sich als die Kraft der wirtschaftlichen Vernunft in der Energiewende. Ein Besuch der Ölplattform passt da gut ins Konzept. Hier hat Rösler nichts zu kritisieren, hier lobt er nur.

Die Ölförderung sei zentral bei der Versorgungssicherheit Deutschlands. Der FDP-Chef redet auf der Bohrinsel viel von "hohen Standards" der "deutschen Ingenieurleistung" und dem "Export von Know-how". Mit "Mittelplate" beweise der Energiekonzern RWE, dass der Ausgleich von Umwelt und Industrie funktioniere. Gerade erst hat das Unternehmen Anträge für vier weitere Bohrungen im Wattenmeer gestellt. 27 Tonnen Rohöl förderte die Bohrinsel "Mittelplate" seit 1987, 23 Millionen Tonnen sollen folgen, ebenso viel Öl verspricht sich RWE Dea, die Tochterfirma des Energiekonzerns, von möglichen neuen Ölfeldern.

Die Umweltverbände Nabu, WWF und Schutzstation Wattenmeer kritisieren das Vorhaben neuer Bohrungen scharf. Sie würden das Weltnaturerbe Wattenmeer gefährden. Bohrungen erhöhten die Gefahr von Ölverschmutzungen in einem besonders sensiblen Lebensraum.

Die einheimische Erdölförderung deckt etwa drei Prozent des Bedarfs von Deutschland. Die Entscheidung für oder gegen die Erschließung neuer Ölquellen müssten die Behörden in den betroffenen Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein treffen, sagte Rösler. Doch sein Besuch auf der Plattform und sein Lob für RWE zeigen, dass der Wirtschaftsminister auch hier politische Schützenhilfe für die Industrie und gegen die Umweltverbände leistet.

Wer Rösler auf der Bohrinsel begleitet, hört oft Worte wie "Stabilität" und "Zukunftspotenzial". Er verweist auf die "guten Erfahrungen der vergangenen 25 Jahre". Es sind Worte, die im Gegensatz stehen zu Röslers Äußerungen über den Fortschritt beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromleitungen. Auf der Bohrinsel gibt es keine Skepsis.

Angebracht sind Zweifel über den Ausbau von Windenergie oder Solartechnik und vor allem den der notwendigen Stromleitungen. Die Pläne der rot-grünen Bundesregierung von Anfang des Jahrtausends, bis zum Jahr 2020 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 20 000 Megawatt in Nord- und Ostsee zu bauen, wurden auf rund 10 000 Megawatt eingedampft. Der Ausbau vieler Trassen für den Transport des Stroms von der Küste ins Landesinnere stockt wegen der Klagen von Verbänden und Anwohnern. Investoren sind verunsichert. Also muss die staatliche Förderbank KfW einspringen. Sie will bis 2017 rund 100 Milliarden Euro für Darlehen im Bereich Erneuerbare Energien bereitstellen.

An dem Tag, als der Wirtschaftsminister die Bohrinsel besuchte, waren noch zwei andere Politiker in Cuxhaven: Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) besichtigten einen neuen Anleger zum Beladen von Schiffen, Pontons und Hubplattformen. Von September an soll ein Spezialschiff Stahlelemente von dem 266 Meter langen Anleger in Richtung Meer transportieren. Auch McAllister und Scholz warben für den Standort und lobten die Technologie. Es ist Stahl für neue Windkrafträder.