Wachsender Anteil von Transplantationen erfolgt über “beschleunigtes Vermittlungsverfahren“ an der Warteliste vorbei. Politik fordert Erklärungen.

Berlin. Organspenden unterliegen in Deutschland üblicherweise einem Warteliste-Verfahren: Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) bündelt die Informationen über verfügbare Spenderorgane. Vermittelt werden diese dann von der Stiftung Eurotransplant mit Sitz in den Niederlanden. Danach werden sie in einem der bundesweit rund 50 Transplantationszentren verpflanzt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Spenderorgane gelangen zunehmend oft per Schnellverfahren an der Warteliste vorbei zu den Patienten - ohne Beachtung üblicher Kriterien wie Erfolgsaussicht und Dringlichkeit der Operation. Es handelt sich um Organe von älteren und kranken Spendern. Aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Harald Terpe geht hervor, dass die Zahl der "beschleunigten Vermittlungsverfahren" stark zugenommen hat.

Laut Bundesregierung stieg der Anteil der beschleunigten Vermittlung bei Lebertransplantationen zwischen 2002 und 2012 von 9,1 auf 37,1 Prozent. Beim Herz kletterte der Wert in den vergangenen zehn Jahren von 8,4 auf 25,8 Prozent, bei der Lunge von 10,6 auf 30,3 Prozent. Den größten Sprung gab es bei der Bauchspeicheldrüse: von 6,3 auf 43,7 Prozent.

Grünen-Politiker Terpe bezeichnete den "enormen Anstieg" der Schnellverfahren als "erklärungsbedürftig". Der "Berliner Zeitung" sagte der Gesundheitspolitiker: "Nach den Ereignissen in Göttingen und Regensburg müssen wir alles tun, um sicherzugehen, dass nicht auch an anderer Stelle manipuliert wird." Im Zentrum dieses Skandals steht ein Transplantationsarzt. Er wird verdächtigt, an den beiden Universitätskliniken in fast 50 Fällen Labordaten von Patienten gefälscht zu haben, um sie auf der Eurotransplant-Warteliste nach oben zu rücken.

+++ Wie gerecht werden Spenderorgane vergeben? +++

Die Befürchtung, mit Blick auf Regensburg und Göttingen: Wenn schon das reguläre System stark manipulationsanfällig ist, ist es das beschleunigte Verfahren, bei dem die Transplantationszentren eigenmächtig über die Vergabe entscheiden, erst recht. Die Vize-Vorsitzende im Gesundheitsausschuss des Bundestags, Kathrin Vogler (Linke), forderte eine umgehende Befassung des Parlaments mit allen Regelungen zur Organspende in einer öffentlichen Sitzung. "Nur so kann Transparenz und Vertrauen wiederhergestellt werden."

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warnte hingegen im Gespräch mit der Zeitung "Die Welt": "Alleine von der steigenden Zahl der Verfahren einen Manipulationsverdacht abzuleiten ist grundfalsch." Die Richtlinien der Bundesärztekammer sähen zudem nicht vor, dass der "Sonderfall" - die beschleunigten Verfahren - zum Regelfall werde. Die Zunahme sei auf eine Änderung der Richtlinien im Zeitraum 2002 bis 2008 zurückzuführen. Gegen den Manipulationsverdacht spreche auch, dass die Zahl der Verfahren "flächendeckend in allen Transplantationszentren" zugenommen habe. Keines ragt heraus. Auch laufe das Verfahren nicht an Eurotransplant vorbei: Patienten, die per Schnellvergabe ein Organ bekämen, müssten auf der Warteliste stehen. Die Änderungen der Richtlinien führt Montgomery auf "den demografischen Wandel und die zunehmende Morbidität der Menschen" zurück. Bei den beschleunigten Verfahren werden nämlich ausschließlich "schwer vermittelbare" Organe berücksichtigt. Montgomery: "Spender werden immer älter, haben oft Vorerkrankungen und sind übergewichtig." Deren Organe würden im regulären Eurotransplant-Verfahren oft durch Ärzte abgelehnt, weil sie nicht zum Empfänger passten. Montgomery: "Eine Leber kann einfach zu groß sein für einen Bauch- aber das heißt nicht, dass sie jemandem nicht das Leben retten kann."

+++ Organspende in Zahlen +++

Nach drei Ablehnungen eines Organs aus medizinischen Gründen - bei Nieren sind es fünf - gibt Eurotransplant das Organ frei, weil es nicht mehr als vermittelbar gilt. Dann können die Transplantationszentren selbst über die Vergabe entscheiden. Der Ärztepräsident hält die beschleunigten Verfahren durchaus für sinnvoll, denn: "Deutschland hat einen solchen Mangel an Spenderorganen, dass wir kein einziges verschwenden können."

Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, sieht diese Verfahren kritischer. Schon vor Jahren seien sie in einem Prüfbericht als anfällig für Manipulationen bezeichnet worden. "Die 50 Transplantationszentren wickeln hier Organentnahme, Verteilung und Empfang größtenteils in Eigenregie ab." Dass dann finanziell gut situierte Patienten womöglich bevorzugt würden, hält Brysch durchaus für möglich. Er verlangt deshalb Aufklärung über den Anteil der Privatzahler und ausländischen Organempfänger am beschleunigten Verfahren.