Der CSU-Politiker über Machtoptionen, Bonuszahlungen und fehlendes Fingerspitzengefühl vom HSH-Nordbank-Chef.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Herr zu Guttenberg, hat Sie das Glück verlassen?

Karl-Theodor zu Guttenberg:

Es wäre schlimm, wenn man in der Politik auf Glück angewiesen wäre. Aber wie kommen Sie eigentlich darauf?

Abendblatt:

Die einzige positive Nachricht in der letzten Zeit war für Sie die Wahl zum "Sexiest Man in Politics" ...

Zu Guttenberg:

Das ist eine Nachricht, die mir und meiner Familie immens zu denken gibt. Vieles, was die Betrachtung der letzten zwei Wochen mitgeprägt hat, sind natürlich Errungenschaften des Wahlkampfes. Damit hat man sich grundsätzlich abzufinden. Und ich finde mich mit Humor damit ab.

Abendblatt:

Am kommenden Mittwoch müssen Sie vor dem Haushaltsausschuss aussagen, weil Sie die Anwaltskanzlei Linklaters auf Steuerzahlerkosten an der Ausarbeitung von Gesetzen beteiligt haben. Humor ist da nicht unbedingt gefragt.

Zu Guttenberg:

Ich werde mit der gebotenen Offenheit in den Ausschuss gehen. Es gibt in besonderen Ausnahmefällen Fragen und Themen, die einen so hohen Komplexitätsgrad aufweisen, dass man im eigenen Ministerium nicht die nötige Expertise dafür vorhalten kann. In solchen Fällen ist es geradezu eine Verpflichtung, sich Sachverstand von außen zu holen.

Abendblatt

Besonders umstritten ist ein Gesetzentwurf mit dem Ziel, marode Banken unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen. Sie sollen das Konzept der Anwaltskanzlei ohne eingehende Prüfung übernommen haben.

Zu Guttenberg:

Das ist wirklich blanker Unsinn. Wir haben das zugrunde liegende Modell entwickelt. Die Kanzlei hat uns in Fachfragen unterstützt. Entscheidend ist, dass es auf diesem Feld erheblichen Handlungsbedarf gibt. Die Gesetzeslage ist völlig unbefriedigend. Wir müssen Sorge tragen, dass wir einem zweiten Fall Hypo Real Estate, der hoffentlich nicht eintritt, begegnen könnten. Die Finanzmärkte sind alles andere als stabilisiert.

Abendblatt:

Die SPD erinnert außerdem an verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Ihnen und einem der Linklater-Anwälte ...

Zu Guttenberg:

Als ich das gehört habe, war ich mir nicht sicher, ob ich laut schallend auflachen oder betrübt sein soll. Manche verlässt im Wahlkampf offensichtlich das letzte Gefühl für Stil und Umgangsformen. Ich habe durch die SPD erfahren dürfen, dass es in besagter Kanzlei einen Herrn von Bismarck gibt, der in einem entfernten Verwandtschaftsverhältnis zu meiner Frau steht. Die beiden Urgroßväter waren Brüder. Wissen Sie, wie meine Frau reagiert hat?

Abendblatt:

Verraten Sie es.

Zu Guttenberg:

Sie hat gesagt, das Bundeswirtschaftsministerium dürfe in diesen Tagen auf keinen Fall irgendwelche Geschäfte mit der Nasa machen, da Jesco von Puttkamer auch verwandt ist mit der Frau des Altkanzlers Otto von Bismarck.

Abendblatt:

Sie haben ein Konzept zur Industriepolitik angekündigt. Wann wird es veröffentlicht?

Zu Guttenberg:

Dann, wenn ich damit zufrieden bin, wenn es meine Handschrift trägt und ich mich voll damit identifizieren kann. Das kann vor oder nach der Bundestagswahl sein.

Abendblatt:

Können Sie schon Eckpunkte nennen?

Zu Guttenberg:

Sehr wichtig erscheint mir, dass man sich auf Grundpotenziale der Industriepolitik beruft, die nicht nur in purer Nostalgie bestehen. Gerade im Bereich der Energiepolitik sehe ich große Chancen. Ich möchte die erneuerbaren Energien aus der alternativen Ecke herausholen. Arbeitmarktpolitische und allgemein steuerpolitische Fragen sollen in dem Papier nicht beantwortet werden.

Abendblatt:

Ein Entwurf ist bereits bekannt geworden. Darin wird eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen.

Zu Guttenberg:

Ich habe auf die Expertise in meinem Ministerium zurückgegriffen und eine Stoffsammlung machen lassen. Anfang Juli wurde mir ein breites Spektrum an Vorschlägen vorgelegt. Leider musste ich sagen, dass ich mich damit nicht identifizieren kann. Wer diese Sammlung als Gedankengut Guttenberg stilisiert, betreibt Wahlkampf.

Abendblatt:

Was ist das Gedankengut Guttenberg - sagen wir - beim Thema Mindestlöhne?

Zu Guttenberg:

Flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne sind Gift gerade für die Chancen von Geringqualifizierten. Die tariflichen Lösungen, die wir in der letzten Legislaturperiode gefunden haben, hat auch mein Ministerium mitgetragen. Für Diskussionen über weitere Mindestlöhne gilt: Sind sie sinnvoll? Erfüllen sie den angedachten Zweck? Oder können sie in einem Sektor auch Arbeitsplätze vernichten?

Abendblatt:

Sollen auch die bestehenden Mindestlöhne auf den Prüfstand?

Zu Guttenberg:

Bevor wir hier Wirkungen analysieren und bewerten, muss man sich diese erst entfalten lassen.

Abendblatt:

Nehmen Sie solche Überlegungen in das Industriepapier auf?

Zu Guttenberg:

In meinen industriepolitischen Vorstellungen spielen arbeitsmarktpolitische Überlegungen keine Rolle. Das Industriepapier soll ein schlüssiges Konzept werden, das auch Grundlage sein kann für einen etwaigen Nachfolger.

Abendblatt:

Sie planen also schon mit einem neuen Amt.

Zu Guttenberg:

Ich bin mir bewusst, dass mein Amt jederzeit weg sein kann. Meine persönlichen Planungen gehen genau bis zum 27. September, übrigens ganz ohne Koketterie.

Abendblatt:

Haben Sie etwa schon genug von der Bundespolitik?

Zu Guttenberg:

Ich mache die Aufgabe gerne. Ich entwickele aber keine Vorstellungskraft über die Bundestagswahl hinaus. Das hat mir ermöglicht, ein gerüttelt Maß an Unabhängigkeit und gelegentlich auch an Unbequemlichkeit zu bewahren.

Abendblatt:

Finanzminister Steinbrück sagt: "Herr zu Guttenberg ist ein blendender Minister." Berührt Sie das?

Zu Guttenberg:

Ach, Gott. Wenn man die Kraft des Adjektivs in den unterschiedlichen Deutungen sieht, dann suche ich mir meine Deutung heraus.

Abendblatt:

Nicht nur die CSU, auch die CDU plakatiert Guttenberg im Wahlkampf. Könnten Sie sich vorstellen, die Schwesterpartei zu wechseln?

Zu Guttenberg:

Wer es wagt, seine oberfränkischen Wurzeln auch nur ansatzweise zu verleugnen, der reißt sich die Seele aus dem Leib. Daraus definiert sich auch meine Parteizugehörigkeit. Ich bin vielleicht streitbar, aber doch mit Leib und Seele CSU-Politiker.

Abendblatt:

Was hat die CSU der CDU voraus?

Zu Guttenberg:

Einen bayerischen Ministerpräsidenten. Und die Fähigkeit, bei gewissen Themen stilbildend zu sein, etwa bei der steuerlichen Entlastung der Bürger.

Abendblatt:

Bleiben Sie dabei, dass es Spielraum für weitere Steuersenkungen schon 2011 gibt?

Zu Guttenberg:

Wir müssen uns schnellstmöglich der eklatanten Ungerechtigkeit annehmen, die sich aus der kalten Progression bei der Einkommenssteuer ergibt.

Abendblatt:

Die Menschen lernen gerade: Es gibt zwei wichtige Minister. Der eine, Steinbrück, sagt: Steuersenkungen sind in den nächsten zehn Jahren vollkommen ausgeschlossen. Der andere, Guttenberg, sagt: Spielraum gibt es viel früher. Ahnung kann doch nur einer haben, oder?

Zu Guttenberg:

Die Frage ist auch: Verweigert man Spielräume, um Wachstumskräfte freizusetzen?

Abendblatt:

Ist Steinbrück ein Wachstumsverweigerer?

Zu Guttenberg:

Er ist zumindest einer, der den Wachstumsgedanken in seiner Argumentation nicht inflationär verwendet.

Abendblatt:

Steinbrück ist nicht allein. Selbst Bundesbankpräsident Weber hält schnelle Steuersenkungen nicht für machbar.

Zu Guttenberg:

Steuersenkungen müssen dem Maßstab des Verantwortbaren und des Machbaren gehorchen. Es herrscht noch erhebliche Unsicherheit, wie es in der Wirtschaftskrise weitergeht. Es ist allerdings kein Erfolgsmodell, nur auf Haushaltskonsolidierung zu achten. Wir müssen die Leistungsträger motivieren, sonst können wir das Land nicht ansatzweise wettbewerbsfähig aufstellen.

Abendblatt:

Können Sie versprechen: Wenn Schwarz-Gelb regiert, haben die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche?

Zu Guttenberg:

Ich weigere mich, hoch komplexe Sachverhalte auf einen Halbsatz zu verkürzen. Die Politik muss sich selbstverständlich bemühen, den Menschen mehr Geld zu lassen.

Abendblatt:

In Hamburg regiert die CDU mit den Grünen. Undenkbar im Bund?

Zu Guttenberg:

Für die kommende Legislaturperiode ist eine Koalition mit den Grünen undenkbar. Sowohl die Personen als auch die Kerninhalte sind viel zu weit auseinander.

Abendblatt:

Die CSU ist in den vergangenen Wochen mit den Grünen freundlicher umgegangen als mit der FDP.

Zu Guttenberg:

Die Grünen haben durch ihre vergleichsweise dürre Programmatik herzlich wenig Anlass geboten, sich überhaupt an ihnen zu reiben.

Abendblatt:

Ihr Nachfolger im Amt des CSU-Generalsekretärs nimmt bei der FDP "geistige Windstille" wahr. Geht es Ihnen auch so?

Zu Guttenberg:

Alle drei Partner einer bürgerlichen Koalition nach der Bundestagswahl sollten geistige Flauten vermeiden.

Abendblatt:

Vertrauen Sie FDP-Chef Westerwelle, dass er nur mit der Union regieren wird?

Zu Guttenberg:

(überlegt lange) Je klarer die Aussage, desto größer das Vertrauen.

Abendblatt:

Ist die Aussage klar genug?

Zu Guttenberg:

Die FDP hat offenbar noch nicht alle davon überzeugt, dass eine Ampel wirklich ausgeschlossen ist. Herr Westerwelle sollte daher jeden Zweifel an dem Willen seiner Partei zu Schwarz-Gelb ausräumen.

Abendblatt:

Was ist, wenn es für Union und FDP nicht reicht?

Zu Guttenberg:

Wir müssen alle noch eine Schippe drauflegen, damit wir eine klare schwarz-gelbe Mehrheit erzielen. Dann erliegt auch niemand der Versuchung, in einer anderen Konstellation zu regieren.

Abendblatt:

Hätte Schwarz-Gelb bessere Antworten auf die Wirtschaftskrise als Schwarz-Rot?

Zu Guttenberg:

Schwarz-Gelb wäre handlungsfähiger. Manche Lösungen würden sich nicht so fürchterlich zäh entwickeln.

Abendblatt:

Im zweiten Quartal ist die Wirtschaft überraschend wieder gewachsen. Ist die Krise weitgehend überstanden?

Zu Guttenberg:

Wir haben die Talsohle erreicht. Aber wir sind weit entfernt von den Wachstumszahlen vor der Krise. Der Weg dorthin zurück wird ein mühseliger und außerordentlich harter. Es werden ja die tollsten Analogien bemüht. Ich denke, wir stehen vor einer Hügellandschaft, die langsam ansteigt.

Abendblatt:

Hat die Politik die Chance vertan, eine neue Finanzordnung zu schaffen?

Zu Guttenberg:

Der G20-Gipfel in London hat mich hoffnungsvoll gestimmt. Aber wir müssen aufpassen, dass es hier nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt.

Abendblatt:

Was rufen Sie denen zu, die schon wieder begonnen haben zu zocken?

Zu Guttenberg:

Wir müssen die internationalen Finanzmärkte schärfer kontrollieren. Es darf kein Zurück geben zu dem, was manche Bankmanager unter Normalität verstanden haben.

Abendblatt:

Brauchen wir ein Gesetz, das Bonuszahlungen regelt?

Zu Guttenberg:

Ich sehe es höchst kritisch, dass manche Manager sich völlig hemmungslos bedienen. Aber ich bin zurückhaltend, was das direkte Eingreifen des Staates bei Bonuszahlungen angeht. Vieles auf diesem Feld ist international verflochten. Das kann man mit nationalen Regelungen nicht beeinflussen.

Abendblatt:

Was raten Sie dem Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank, der Sonderzahlungen für 2,9 Millionen Euro kassiert?

Zu Guttenberg:

Für jeden Verantwortlichen bei einer öffentlichen Bank und damit auch für Herrn Nonnenmacher gilt doch wohl derzeit, das nötige Fingerspitzengefühl nicht zu verlieren. Es ist grundsätzlich sehr bedenklich, wenn sich der Zustand eines Unternehmens nur noch bedingt in den Bezügen der Vorstandsmitglieder spiegelt.

Abendblatt:

Herr zu Guttenberg, haben Sie eigentlich Vorbilder?

Zu Guttenberg:

Nein. Ich bin ein vergleichsweise vorbildfreier Mensch. Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Ich habe vielleicht immer wieder Situationsvorbilder - Menschen, deren Handeln mir in einer bestimmten Situation als erstrebenswert erscheint. Aber ich habe keine Lebensvorbilder.

Abendblatt:

Können Sie ein Situationsvorbild nennen?

Zu Guttenberg:

Da fällt mir spontan niemand ein.

Abendblatt:

Machtpolitisch: Horst Seehofer? Auf roten Teppichen: Frau Merkel?

Zu Guttenberg:

Vergleichbare Situationen hatte ich noch nicht. Und es zeichnet sich auch nicht ab, dass ich sie haben werde.

Abendblatt:

Manche Menschen schließen Wetten ab, dass Karl-Theodor zu Guttenberg der erste Kanzler der CSU sein wird.

Zu Guttenberg:

Ich bitte diese Menschen zu verstehen, dass ich mit einem Grundmaß an Bescheidenheit und Bodenhaftung ausgestattet bin und über den 27. September hinaus nicht denke.