Das Abendblatt sagt, wie viel die Parteien bei der Europawahl am Sonntag zu gewinnen und zu verlieren haben.

CDU

Es hat seinen Grund, dass Angela Merkel am Wahlabend nicht selbst vor die Kameras treten will. Die Christdemokraten rechnen mit einem Einbruch im Vergleich zur Europawahl vor vier Jahren. Damals - auf dem Höhepunkt der Empörung über das rot-grüne Chaos in der Bundesregierung - holte die Union insgesamt sagenhafte 44,5 Prozent der Stimmen. Gemessen daran kann es nur bergab gehen. Mit Grausen denken Pofalla und Co. an schwarze Balken in den TV-Projektionen, die arg zu weit ins Minus ragen. Sollte selbst die intern ausgerufene Schmerzgrenze von 38 Prozent unterschritten werden, könnte Merkel nur noch schwer die Hoffnung auf ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Bundestagswahl nähren. Die Kanzlerin fürchtet, dass die CDU dann nervös wird und die parteiinterne Debatte um die richtige Strategie aufs Neue losbricht. Das wäre Gift für den Wahlkampf. Wenig auf dem Spiel steht dagegen für Hans-Gert Pöttering. Seine Zeit als Präsident des Europäischen Parlaments geht sowieso zu Ende.

CSU

CSU-Chef Horst Seehofer will zeigen, dass der Einbruch 2008 ein Ausrutscher war. Sonst würde der Nimbus der auf Alleinherrschaft abonnierten Bayern-Partei weiter bröckeln. Und auch sein Retterimage wäre angeknackst. Dazu muss die CSU die bundesweit geltende Fünf-Prozent-Hürde allein mit Stimmen aus Bayern überwinden. Schafft sie das nicht, fliegt sie erstmals aus dem EU-Parlament. Dass die Ex-Parteirebellin Gabriele Pauli ihm als Spitzenkandidatin der in Bayern so starken Freien Wähler erneut Konkurrenz macht, passt Seehofer deshalb gar nicht ins Konzept.

SPD

Die SPD will am Sonntag das ersehnte Aufbruchsignal für den Endspurt im Bundestagswahlkampf aussenden. Fraglich ist allerdings, ob das erwartete Plus im Vergleich zur Europawahl 2005 dafür ausreicht. Damals holten die Genossen jämmerliche 21,5 Prozent. Zurzeit rangieren sie in den Umfragen bei 26 Prozent. Mit so einem mauen Zugewinn ließe sich schwerlich zur Aufholjagd blasen - mit einem Abstand von vielleicht nur fünf Prozentpunkten zur Union aber schon. Die Wahl gilt im Willy-Brandt-Haus deshalb als Scheidepunkt. Die Sorgen des Spitzenkandidaten Martin Schulz sind auch nicht ohne. Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im EU-Parlament kann nur dann Ambitionen anmelden, Nachfolger von EU-Kommissar Günter Verheugen (ebenfalls SPD) zu werden, wenn seine Partei zumindest in die Nähe des Stimmenergebnisses der CDU rückt.

FDP

Die FDP kann dem Urnengang am Sonntag gelassener entgegensehen. Die Aussichten, dass sich mit Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin das Ergebnis von 2005 verbessern lässt, stehen angesichts der Woge der Zustimmung, auf der die Liberalen seit Monaten reiten, gut. Allerdings muss die FDP aufpassen, dass sie nicht zu deutlich unter den Prognosen von bis zu 15 Prozent landet, die ihr für den Bund vorausgesagt werden. Das könnte nämlich Zweifel provozieren, ob die Erwartungen für die Bundestagswahl nicht auch überzogen sind. Außerdem müsste sich Silvana Koch-Mehrin dann Fragen danach gefallen lassen, warum das Potenzial der Partei mit ihr als Frontfrau nicht ausgeschöpft werden konnte.

Grüne

In der Grünen-Zentrale hat man wegen der Wahl keine schlaflosen Nächte. Wirklich auf dem Spiel steht nicht viel. Den Umfragen zufolge wird die Partei ihr Ergebnis von 11,9 Prozent aus 2005 wohl halten können. Das hängt mit der Europa-Begeisterung ihrer Stammwähler zusammen. Während die Christdemokraten ambivalenter argumentieren müssen, um auch die vom zentralistischen Dirigismus wenig begeisterte Anhängerschaft an die Urnen zu bringen, können die Grünen in ihrer Kampagne aus dem Vollen schöpfen. Sollte die Partei wider Erwarten schlechter abschneiden, würde der Streit um die kruden Koalitionsaussagen im Bund und die Tauglichkeit der Vierer-Spitze neu entflammen.

Linkspartei

Die Linkspartei, die seit Ausbruch der Wirtschaftskrise in den Umfragen vor sich hindümpelt, hofft auf ein kräftiges Signal, dass auch im Bund weiter mit ihr zu rechnen ist. Nach 6,1 Prozent der Stimmen in 2005 sollen deshalb nun zehn Prozent her. Nur so kann sich die Truppe von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wieder zurück ins Spiel bringen. Und vielleicht sogar die - von der SPD gefürchtete - Debatte um Rot-Rot-Grün erneut anheizen. Doch zuletzt gab es vor allem Streit ums Personal und die Programme. Sollte es bei den derzeit prophezeiten acht Prozent bleiben, würde die Linke weiter an Bedeutung und Schreckenspotenzial verlieren.