Zum Auftakt des Deutschen Ärztetages hat der Chef der Barmer Ersatzkasse, Johannes Vöcking, vor einer Überdehnung des Gesundheitssystems gewarnt.

Hamburg. Zum Auftakt des Deutschen Ärztetages hat die Barmer Ersatzkasse vor einer Überdehnung des Gesundheitssystems gewarnt. "Wir alle wollen medizinischen Fortschritt. Es kann aber nicht sein, dass jedes neue Behandlungsverfahren, jedes neue Medikament immer zusätzlich in unser System kommt", sagte Barmer-Chef Johannes Vöcking dem Hamburger Abendblatt. "Vielmehr muss man prüfen, welche Leistungen dadurch überholt sind und herausgenommen werden können." Vöcking betonte: "Bevor nach mehr Geld für medizinische Behandlung oder gar einer Abstaffelung von Leistungen gerufen wird, sollten die Ärzte über eine Entrümpelung des Systems diskutieren."

Vöcking wies auch die Kritik der Ärzte an der Honorarreform zurück. "Bei den Ärztehonoraren beispielsweise ist ein Stück Gerechtigkeit entstanden zwischen Ost und West", sagte er. "Es ist doch nicht vertretbar, dass wir 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch Honorarunterschiede von 20 Prozent zwischen alten und neuen Bundesländern haben. Der Orthopäde in Düsseldorf ist kein besserer Arzt als der Orthopäde in Leipzig."

Das Bundesgesundheitsministerium hat den Kassenpatienten zugesagt, dass sie auch künftig alle notwendigen medizinischen Leistungen von der Krankenkasse bekommen sollen. „Wir wollen, dass auch in Zukunft alle am medizinischen Fortschritt teilnehmen, auch wenn sie keine Privatversicherung abgeschlossen haben“, sagte Gesundheits-Staatssekretär Klaus Theo Schröder beim Ärztetag in Mainz. Das deutsche Gesundheitswesen habe dies bisher geleistet, „und wird dies auch in Zukunft leisten“.

Damit wandte sich Schröder gegen Klagen der Ärzteschaft über eine „Rationierung“ in der Gesundheitsversorgung. Der Staatssekretär verwies auf zusätzliche Mittel im Gesundheitsfonds, darauf, dass Deutschland rund elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgebe und auf eine überdurchschnittliche Ärztedichte in der Bundesrepublik. „Da kann niemand behaupten, wir hätten ein Rationierungsproblem“, sagte Schröder.

Moderne Leistungen von der Herzverpflanzung bis zur Dialyse würden selbstverständlich für alle bezahlt. Und mit der jüngsten Gesundheitsreform seien einige Leistungen noch ausgeweitet worden, zum Beispiel Impfungen und eine bessere Versorgung Sterbender.

Schröder bekräftigte die Absage an eine Erhöhung der Praxisgebühr, wie sie in der Ärzteschaft debattiert wird: „Die Erhöhung der Praxisgebühr ist nicht auf der Tagesordnung.“ Zwar könne man ein System mit begrenzten Mitteln „nicht ohne Mengensteuerung fahren“. Dies gelinge aber, indem man das System optimiere und effizienter mache. Schröder vertrat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt 2001 nicht zu einem Ärztetag anreiste.

Zuvor hatte Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe seine Warnungen vor zunehmendem Mangel in der Patientenversorgung verschärft. „Ich will eine Diskussion provozieren, dass die Politik Farbe bekennen muss“, sagte er in Mainz. Hoppe verteidigte seinen Vorschlag für eine Priorisierung in der Medizin, also eine Vorrangliste von Behandlungsmöglichkeiten. Wenn die Mittel fehlten, „dann müssen wir einfach offen und ehrlich darüber reden und zu gerechtem Verteilungsmechanismus kommen“, sagte er. „Mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen, werden wir den medizinischen Fortschritt zukünftig nicht mehr in den Praxen und Kliniken abbilden können.“