Gesundheitsministerin denkt an höheren Steuerzuschuss für Gesundheitssystem. Dem Ärztetag bleibt sie diesmal fern.

Berlin. So mancher Patient stand gestern vor den verschlossenen Türen seiner Arztpraxis: Die Freie Ärzteschaft, ein Bündnis der Mediziner, hatte zu Praxisschließungen aufgefordert. Für heute rechnet der Verband mit bis zu 30 000 beteiligten Ärzten. "Wir wollen die Diskussion um die Gesundheitsversorgung in Deutschland anregen", sagte Martin Grauduszus, Präsident der Vereinigung, dem Hamburger Abendblatt. "Die Krankenkasse und die Politik müssen genug Geld zur Verfügung stellen, damit wir die Patienten anständig versorgen können." Das sei speziell durch die Honorarreform, die seit Anfang des Jahres greift, nicht mehr der Fall. Grauduszus warnt vor einer zunehmenden Zentralisierung der Versorgung: "Der Arzt um die Ecke droht zu verschwinden."

Am Vortag des heute beginnenden Deutschen Ärztetags warfen die Mediziner reihenweise Vorschläge in die Diskussion, mit denen sich Bundesministerin Ulla Schmidt auseinandersetzen sollte. Die blockte ab, in Worten und Taten. An der Tagung nimmt sie erstmals seit acht Jahren gar nicht teil - wegen einer EU-Veranstaltung zur Mexiko-Grippe. Die meisten Forderungen wies die SPD-Politikerin zurück. Etwa die nach einer ausgeweiteten Praxisgebühr, die von Teilen der Ärzteschaft angeregt wurde: Es solle bei der Praxisgebühr einmal im Quartal bleiben, sagte Schmidt der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Bei den Zuzahlungen sind für viele Menschen die Grenzen erreicht." Auch eine Rangliste von Leistungen, die der Präsident der Deutschen Ärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, vorgeschlagen hatte, lehnt sie ab: Das entspreche nicht ihrem "Verständnis vom Sozialstaat". Leistungen sollten nur ausgeschlossen werden, wenn sie nachweislich nichts nützten.

Stattdessen warnte die Ministerin, dass die steigende Arbeitslosigkeit einen höheren Steuerzuschuss für den Gesundheitsfonds nötig machen könnte. Ursprünglich war von drei Milliarden Euro ausgegangen worden. Doch niemand könne ausschließen, dass "wir noch schlechtere Prognosen bekommen". In dem Falle könnte der Steuerzuschuss "auch mehr werden". Schmidt wollte nicht garantieren, dass der Beitragssatz zur Krankenversicherung, der im Juli von 15,5 auf 14,9 Prozent gesenkt wird, im nächsten Jahr konstant bleiben wird.

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) machte gestern von sich hören und schlug ein neues Tarifsystem vor. Neben dem bisherigen Tarif, der Versicherten grundsätzlich freien Zugang zu allen Ärzten ermöglicht, wäre bei einer zweiten Tarifoption zunächst ein Besuch beim Hausarzt verpflichtend, so der KBV-Vorsitzende Andreas Köhler. Bei diesem Modell könne die Praxisgebühr wegfallen. Bei einem dritten Tarif trete der Versicherte beim Arztbesuch wie Mitglieder von Privatkassen in Vorkasse und rechne dann mit der Krankenkasse ab.

Eine andere finanzielle Absicherung favorisiert die Ärztegewerkschaft Marburger Bund: Wegen steigender Gesundheitskosten mache eine staatlich geförderte private Zusatzkrankenversicherung nach dem Vorbild der "Riester-Rente" Sinn, sagte deren Vorsitzender Rudolf Henke der "Financial Times Deutschland". Sonst könnten Kassenpatienten wegen Geldmangels nicht mehr alles medizinisch Machbare bekommen.

Dabei gibt es Mediziner, die derzeit bezweifeln, dass es überhaupt eine Kostenexplosion gibt: "Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen liegen seit Jahren konstant bei 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts", sagte Grauduszus von der Freien Ärzteschaft dem Abendblatt. Allerdings verschwendeten die Kassen Geld, etwa für unnötige Werbung.