Die öffentliche Debatte über das Kölner Urteil gegen Beschneidungen nimmt weiter Fahrt auf. Politiker und UN-Vertreter schalten sich ein.

Köln. Das Kölner Urteil zur Strafbarkeit von Beschneidungen liefert weiter Zündstoff. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte die Entscheidung. Das Kölner Urteil habe international Irritationen ausgelöst, sagte er der „Bild“-Zeitung (Freitag). „Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschätzt sind.“ Mit Westerwelle äußerte sich erstmals ein Mitglied der Bundesregierung öffentlich zu dem Urteil.

Als erste Konsequenz aus dem Urteil setzt Grünen-Chefin Claudia Roth zunächst auf Aufklärung. Das Urteil sei realitätsfremd, sagte sie der dpa in Berlin. „Es wirkt ausgrenzend gegenüber der langen kulturellen und religiösen Tradition jüdischen und muslimischen Lebens.“ Die Debatte könne nur mit den Religionsgemeinschaften geführt werden. „Als erste Schritte könnten erwogen werden, begleitende Maßnahmen wie breit angelegte Aufklärungsarbeit oder die Durchführung der Beschneidung nur von Ärzten vorzuschreiben.“

Der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Heiner Bielefeldt, rügte die Argumentation des Gerichts gegen die Eingriffe. Die Argumente seien „grober Unsinn“ und im Urteil fänden sich „bizarre Aussagen“. In jüdischen und muslimischen Familien sei die Beschneidung „eine ganz weit verbreitete Praxis“, sagte Bielefeldt im Deutschlandradio Kultur.

Rechtssicherheit sei nun wichtig. „Sonst ist nämlich zu befürchten, dass solche Praktiken in die Illegalität gedrängt werden. Und das würde für das Kindeswohl (...) eine ganze Reihe von neuen Risiken und Belastungen bedeuten“, sagte Bielefeldt.

Als Eingriff in die religiöse Identität kritisierte die Türkisch Islamische Union (Ditib) das Urteil. Die Beschneidung bei Jungen sei ein religiöses Gebot im Islam und ein Identitätsmerkmal in der religiösen Tradition. Das Urteil widerspreche der Religionsfreiheit und dem Recht der Eltern, ihre Kinder in einer bestimmten Religion zu erziehen, meinte die Organisation.

Der internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten in Lindlar sieht dagegen Kinderrechte gestärkt. „In vielen Fällen entscheiden sich Eltern gegen den Willen ihrer Kinder für eine Beschneidung“, sagte ein Sprecher des Bundes der Nachrichtenagentur dpa. „Das Urteil klärt darüber auf, dass das eine Straftat ist.“ Die Eingriffe bezeichneten die Konfessionslosen als „Körperverletzung“ und „Verstümmelungen“. Nach Einschätzung des Sprechers könnte die Zahl der Beschneidungen in Deutschland nach dem Urteil zurückgehen.

Auch in Frankreich löste das Urteil ein großes Medienecho aus. In dem EU-Land mit der größten muslimischen Gemeinschaft sprach der Rektor der Pariser Großmoschee, Dalil Boubakeur, von einer „irrationalen Entscheidung“. In der Zeitung „Le Parisien“ (Donnerstag) kritisierte er „eine Stigmatisierung der muslimischen Gemeinschaft“. Der Vorsitzende des Zentralrats der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF), der Mediziner Richard Prasquier, sprach von einem „skandalösen“ Urteil.