Die scharfen Proteste von Vertretern aus Judentum und Islam zeigen offenbar Wirkung: Die Regierung will Ruhe in das Thema religiöse Beschneidung bringen und für Rechtsfrieden sorgen.

Berlin/Düsseldorf. Die Bundesregierung will die Rechtsunsicherheit bei religiösen Beschneidungen nach dem Urteil des Kölner Landgerichts beenden und strebt eine Regelung an. „Für alle in der Bundesregierung ist es völlig klar: Wir wollen jüdisches und wir wollen muslimisches religiöses Leben in Deutschland“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Verantwortungsvoll vorgenommene Beschneidungen müssten straffrei sein, ergänzte Seibert. Die Initiative stieß bei Politikern auf Zustimmung.

Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, begrüßte die Initiative der Bundesregierung: „Die Religionsfreiheit in Deutschland ist ein hohes Gut. Die jüdischen und muslimischen Menschen in unserem Land müssen ihren Glauben leben können.“ Verantwortungsvoll ausgeführte Beschneidungen müssten möglich sein. Die derzeitige Rechtslage sorge bei vielen jüdischen und muslimischen Menschen für eine große Verunsicherung.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast erklärte in Berlin: „Ein Sturm der Entrüstung hat die Bundesregierung endlich zur Einsicht gebracht.“ Der Umgang mit der Religionsfreiheit, den jüdischen und muslimischen Aufnahmeriten und eine Abwägung von Grundrechten erfordere viel Sensibilität, fügte sie hinzu. Jetzt müssten sich die Fraktionen zusammensetzen und eine Lösung finden, die Rechtssicherheit schafft.

Zuvor hatte der Zentralrat der Juden eine überparteiliche Gesetzesinitiative zur legalen Beschneidung gefordert. „Die Beschneidung ist für Juden absolut elementar“, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Samstagsausgabe). Sollte das Kölner Urteil gegen Beschneidungen zur Rechtslage werden, dann „wären die Juden kalt in die Illegalität abgedrängt“, so Graumann. „Dann wäre in letzter Konsequenz jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich.“

Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte plädierte für die Zulassung der Beschneidung. Im „Tagesspiegel“ (Freitagsausgabe) kritisierte Direktorin Beate Rudolf zugleich „Simplifizierungen in der Debatte“. Die eine Seite leugne die Schwere des Eingriffs und setze sich damit über das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit hinweg. Auf der anderen Seite werde die Religionsfreiheit pauschal hintangesetzt.

Es müssten aber „drei Rechte miteinander abgewogen werden“, sagte Rudolf. Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, darauf, in einer religiösen Gemeinschaft aufzuwachsen – als Teil der Religionsfreiheit – und das religiöse Erziehungsrecht der Eltern.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und die frühere Justizministerin Brigitte Zypries mahnten in einer gemeinsamen Erklärung, es könne nicht sein, „dass Jahrtausende alte Traditionen von Millionen von Menschen auf diese Weise in Deutschland infrage gestellt werden“. Die Entscheidung, die eine Körperverletzung bei religiös bedingten Beschneidungen von Jungen bejaht, verkenne die Bedeutung des Grundrechts auf Religionsfreiheit. Gabriel und Zypries: „Das Landgericht hat es versäumt, sich mit der religiösen Bedeutung der Beschneidung hinreichend auseinander zu setzen.“

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Die Konferenz Europäischer Rabbiner betrachtet den Richterspruch als schwersten Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland seit dem Holocaust. "Ein Verbot der Beschneidung stellt die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage", sagte der Präsident des Verbandes, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, in Berlin. "Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft." Er gehe jedoch davon aus, dass die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen gesetzlich in der Bundesrepublik verankert wird. Das Landgericht Köln hatte in der vergangenen Woche die Beschneidung von Jungen als Körperverletzung bewertet. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes werde dadurch verletzt.

Goldschmidt sagte, das Schächtverbot der Nationalsozialisten sei ein Zeichen für viele Juden gewesen: "Wir müssen weg aus Deutschland." Ein Beschneidungsverbot wäre angesichts der Bedeutung dieses Brauchs ein viel stärkeres Zeichen. Das Urteil sei Teil einer Folge von Angriffen auf religiöse Minderheiten in Europa, sagte Goldschmidt nach einer Sitzung europäischer Rabbiner. Dazu gehörten die Einschränkungen für den Minarettbau in der Schweiz, das Burkaverbot in Frankreich und das Schächtverbot in den Niederlanden.

Auf eine höchstrichterliche Klärung wollen die Rabbiner nicht warten. "Keiner von uns kann warten, bis Karlsruhe entscheidet", sagte der Rabbiner Avichai Apel von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Auch nach dem Kölner Urteil würden die von den Synagogen bestellten Beschneider die Entfernung der Vorhaut von Knaben fortsetzen. Unter Eltern herrsche aber große Verunsicherung: "Das kann so nicht weitergehen."

Der niedersächsische Hartmannbund der Ärzte sprach sich dafür aus, Beschneidungen an jüdischen und muslimischen Jungen weiter zuzulassen. Er forderte die Ärztekammer auf, klarzustellen, dass Ärzte nicht berufsunwürdig handeln, wenn sie Beschneidungen aus religiösen Gründen vornehmen, berichtet die "Hannoversche Allgemeine Zeitung". Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, verteidigten das Ritual. (dpa/epd)