Lange fristete die Familienpolitik ein Nischendasein und wurde als “Gedöns“ abgetan. Heute steht sie im Zentrum der Debatte.

Berlin. Das Bundesfamilienministerium ist ein unscheinbarer grauer Kasten in der Mitte Berlins. Glinkastraße 24, unweit des Brandenburger Tors, eine spiegelnde Glasfront immerhin, aber trotzdem nur wenig imposant. Ganz anders als zum Beispiel das Wirtschaftsministerium, die ehemalige Kaiser-Wilhelm-Akademie, wo man Ende des 18. Jahrhunderts erstmals Militärärzte ausbilden ließ.

Dem schlichten Äußeren zum Trotz ist das Familienministerium Zentrum wichtigster politischer Debatten - ganz anders als noch vor Jahrzehnten, als Familienpolitik wie der heutige Dienstsitz ein Nischendasein fristete und noch vor gar nicht so langer Zeit als "Gedöns" abgetan wurde. Familienpolitik, das wird heute als wichtig wahrgenommen, und fast jeder fühlt sich qua eigener Erfahrung berufen, etwas zum Thema zu sagen. Zuletzt musste das die aktuelle Ressortchefin Kristina Schröder (CDU) im Fall des Betreuungsgeldes bitter erfahren. Die Frage, ob Eltern 150 Euro pro Monat bekommen sollen, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuen, war zu einem Streit darüber geworden, welches Lebens- und Erziehungsmodell der Staat belohnen sollte.

Das Familienressort feiert 2013 sein 60. Jubiläum. Immer wieder hat es seit der Gründung seinen Namen geändert, vom "Bundesministerium für Familienfragen" im Jahr 1953 zum "Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend", wie es heute heißt. Mit dem länger werdenden Namen ist dabei auch die Bedeutung des Ressorts gewachsen. Einerseits, weil der demografische Wandel der Familienpolitik neue Lösungsansätze abverlangt. Andererseits, weil Familienpolitik in den vergangenen Jahrzehnten eine Politik des "mehr" geworden ist: mehr Geld, mehr Rechte für Frauen und mehr Instrumente für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das bedeutet auch mehr Diskussionsstoff.

+++ Geburtenrückgang heizt Debatte um Familienpolitik an +++

Nach Ansicht des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) war die Sache noch ganz einfach: "Kinder bekommen die Leute sowieso ..." pflegte er zu sagen. Die Politik des ersten Familienministers Franz-Josef Wuermeling war so auf eine Zementierung des Status quo ausgerichtet. Der CDU-Politiker hatte seinem Wirken von 1953 bis 1962 vor allem ein Ziel verschrieben: Den Müttern die Mutterschaft schmackhaft machen. Er warnte vor einer "totalen Gleichberechtigung", Familien waren für ihn die "Kraftquelle der staatlichen Ordnung", vor allem große Familien wurden finanziell bedacht. Im Jahr 1955 führte er das Kindergeld ein, monatlich 25 Mark ab dem dritten Kind. Großfamilien erhielten den Wuermeling-Pass, mit dem sie zum halben Preis Bahn fahren konnten. Von 1958 an belohnte das Ehegattensplitting Paare mit Steuervorteilen - aber nur dann, wenn die Frau zu Hause blieb.

Schon sein Nachfolger Bruno Heck schwenkte zumindest in Ansätzen um und war der Erste, der die Familienpolitik auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte. 1965 ließ er den ersten Familienbericht erarbeiten. Das Ergebnis: eine vorsichtige Kritik am Rollenbild der Frau. Heck plädierte also dafür, dass Frauen durchaus erwerbstätig sein könnten - vor der Geburt des ersten Kindes und wieder dann, wenn der Nachwuchs flügge geworden ist. In die Zeit Hecks bekam auch das Wort "Rabenmutter" Konjunktur. Es wurde heiß diskutiert, was mit Kindern passiert, wenn Mama berufstätig ist.

Als Erste von vielen Frauen übernahm die Christdemokratin Aenne Brauksiepe 1968 das Amt. In der Folge war es als Nächstes die Sozialdemokratin Katharina Focke, die zwischen 1972 und 1976 als Chefin des nun umbenannten Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit für Aufsehen sorgte, als sie das Familienrecht komplett reformierte und Mann und Frau in der Familie gleichberechtigt stellte. Weil die Gesellschaft auch schon in den 70ern die Angst vor dem demografischen Wandel ergriff, wurde das Kindergeld von 1975 an auch für das erste Kind gezahlt.

+++ Essay: Geld produziert keine Kinder +++

Unter Amtsinhaberin Rita Süssmuth wurde das Aufgabengebiet 1987 um ein weiteres Themenfeld erweitert: der Frauenpolitik. Als das Ministerium nach der Wende in zwei Ressorts aufgeteilt wurde, war es eine gewisse Angela Merkel, die 1991 im Kabinett Kohl zur Bundesministerin für Frauen und Jugend avancierte. Dass Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes bis heute lautet "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin", ist ihr Verdienst.

Als 1998 Gerhard Schröder zum Kanzler wurde, versprach er einen "neuen Aufbruch für die Frauenpolitik." Das Problem: Noch vor der Ernennung von Ministerin Christine Bergmann (SPD) unterlief ihm ein gewichtiger Lapsus: Er bezeichnete Bergmann als "zuständig für Frauen und das ganze andere Gedöns". Die Ministerin hat es in der Folge viel Mühe gekostet, gegen diesen Ruf anzuarbeiten. Sie verhalf Frauen zu zahlreichen Verbesserungen gerade am Arbeitsmarkt. Ihr Versuch, Aufstiegschancen für Frauen in Unternehmen gesetzlich festzuschreiben, schlug jedoch fehl. Ihre Nachfolgerin Renate Schmidt trat 2002 mit dem Slogan an: "Deutschland braucht mehr Kinder". Ihr Hauptprojekt war die Betreuung von Kleinkindern. Den Kita-Ausbau förderte sie intensiv.

Den Schritt aus der Gedöns-Schublade schaffte schließlich Ursula von der Leyen (CDU). "Kinder müssen wieder willkommen sein und einen festen Platz im Alltag haben", lautete ihr Anspruch. Ihr Prestigeprojekt war das Elterngeld, ebenso der massive Ausbau der Kinderbetreuung. Anders als Schmidt setzte sie den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz durch. Für konservative Parteifreunde ein harter Brocken, die Debatten waren gewaltig. Wie bei Merkel wurde das Familienressort für sie zum Sprungbrett: Die heutige Arbeitsministerin wurde 2009 als mögliche Bundespräsidentin gehandelt.

Für Kristina Schröder bedeutet das Dasein als Familienministerin heute vor allem das Kommunizieren von Einschnitten. Ihr Pech ist, dass ihre Amtszeit mitten in die Krise fällt, die Haushaltsmittel besonders rar sind und von der Leyens Spuren besonders tief. Die Weiterentwicklung des Elterngeldes, die im Koalitionsvertrag vereinbart ist, kann sie vorerst nicht umsetzen. Ihr wesentliches Projekt bis zur Wahl 2013 dürfte sein, den Kita-Ausbau über die Bühne zu bringen. Nachdem er zunächst stockte, stellt der Bund nun zusätzliches Geld bereit. Insgesamt könnte sie die erste Ministerin sein, die familienpolitische Leistungen nach einer langen Geschichte wieder zurückfährt. Bis 2013 will die Bundesregierung alle mittlerweile 160 Instrumente überprüfen, da könnte einiges aus dem Katalog gestrichen werden. Für ihre politische Karriere muss das nicht zwangsläufig gefährlich werden: Mit 34 Jahren ist sie die jüngste Ministerin.