Softwarefehler löscht Ermittlungsdaten. Innenminister Friedrich treibt Debatte über eine Verfassungsschutzreform voran.

Berlin/Wiesbaden. Die Debatte über eine Reform der Sicherheitsdienste hat zusätzliche Nahrung erhalten - durch eine schwere Softwarepanne beim Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei. Wie die "Bild am Sonntag" berichtete, waren von Dezember 2011 bis Februar dieses Jahres Beweismittel in Ermittlungsverfahren gelöscht worden, unwiederbringlich. Betroffen sind Daten aus der sogenannten Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), wie sie in Ermittlungen gegen Schwerkriminelle und Terroristen gesammelt werden. Gelöscht wurden demnach Informationen von abgehörten Telefongesprächen, mitgelesenen E-Mails, Kurzmitteilungen und Telefaxen sowie der Lokalisierung von Mobiltelefonen. Das BKA bestätigte dies.

Die Datenpanne war im Februar von Technikern der Firma Syborg entdeckt worden, die die vertraulichen Daten im Auftrag der Polizei verwaltet. Der Vorfall dürfte die Position von BKA-Chef Jörg Ziercke weiter schwächen, der sich bereits gegen Kritik an seiner Ermittlungsarbeit im Verfahren gegen die rechtsextremistische Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wehren muss. Das BKA betonte, von der Panne seien nur "Mosaiksteinchen" betroffen - und legte Wert auf die Feststellung, dass sie nicht die Ermittlungen gegen Mitglieder und Unterstützer des NSU betreffe.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dürfte diese weitere Blamage der deutschen Sicherheitsarchitektur dennoch ärgern - fällt sie doch in eine Zeit, in der wegen der NSU-Ermittlungspannen beim Bundesamt für Verfassungsschutz erhitzt über eine Großreform der Sicherheitsdienste nachgedacht wird. Entsprechende Hinweise aus der Politik verdichteten sich weiter: Friedrich sprach von neuen Herausforderungen, die nach neuen Antworten verlangten. "Wir müssen einen reibungslosen Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz gewährleisten. Zudem müssen wir künftig sicherstellen, dass jederzeit Transparenz gegenüber den zuständigen Bundestagsgremien besteht", sagte Friedrich der "Bild am Sonntag". Er sei entschlossen, die bisherige Organisation des Verfassungsschutzes "ohne jedes Tabu" zu überprüfen.

Dabei könnte letztlich auch eine zentrale Führung des Inlandsgeheimdienstes herauskommen. Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des Verfassungsschutzes will Friedrich dessen Struktur auf Bundes- und Landesebene "offen und ergebnisorientiert" diskutieren. "Mein Ziel ist ein moderner Nachrichtendienst, der in der heutigen Zeit seine Aufgabe, den freiheitlichen Rechtsstaat zu schützen, erfüllen kann", sagte er. Mit der Gründung eines Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus sei im Dezember die erste Konsequenz aus den NSU-Morden gezogen worden.

Der Chef des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, Sebastian Edathy (SPD), sieht die Defizite im Bundesamt für Verfassungsschutz vor allem an zwei Stellen. "Zum einen an den Unzulänglichkeiten, was die Kooperation der Sicherheitsbehörden betrifft." Zum anderen an dem, was Noch-Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm in seiner Vernehmung selbst als "Borniertheit" bezeichnet habe: "Man hat schlichtweg die Gefährdung durch einen zunehmend gewaltbereiter werdenden Rechtsextremismus unterschätzt", so Edathy.

Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" wird innerhalb der Bundesregierung sogar die Einsetzung eines nationalen Sicherheitsberaters erwogen. Vorbild könnten die USA sein. Neu sind solche Überlegungen aber nicht: Bereits vor vier Jahren hatte die Union ein Papier vorgelegt, in dem sie den Aufbau eines Nationalen Sicherheitsrates forderte. Derzeit wird außerdem erwogen, die Aufsicht über den Auslandsgeheimdienst, den Bundesnachrichtendienst (BND), vom Kanzleramt ans Verteidigungsressort zu übertragen.

+++ BKA-Chef Ziercke: "Wir haben versagt" +++

Wenn man über Reformen spreche, müsse eine Reform der gesamten Sicherheitsarchitektur ins Auge gefasst werden, sagte der CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, der "Welt": "Wir müssen das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern einerseits und zwischen Nachrichtendiensten, Polizei und Justiz andererseits verbessern." Er sprach sich dafür aus, Aufgaben wie etwa die Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus zentral zu steuern.

Nach Ansicht Binningers hat der NSU-Untersuchungsausschuss drei gravierende Mängel der Sicherheitsdienste ans Licht gebracht. Erstens habe der Informationsaustausch nicht geklappt. Zweitens habe es an Analysefähigkeit gefehlt. "Drittens fehlten uns bei Kapitalverbrechen oftmals klare Zuständigkeiten sowohl in der Justiz als auch bei der Polizei", sagte Binninger.

Auch Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) plädierte für eine grundlegende Reform der Sicherheitsdienste. Er hatte zur Hochzeit des islamistischen Terrors bereits das gemeinsame Lagezentrum in Berlin auf den Weg gebracht. Heute sei es höchste Zeit, den "Informationsfluss über die Ländergrenzen hinweg" durch eine "Stärkung der Bundeskomponente zu verbessern". Terrorismus und organisierte Kriminalität seien anders kaum zu bewältigen.

Schon in seiner Zeit als Minister hatte Schily auf das "Problem der Zersplitterung des Verfassungsschutzes" hingewiesen und vorgeschlagen, die 16 Landesämter ins Bundesamt als dezentrale Stellen einzugliedern. Seine Pläne scheiterten jedoch am Widerstand der Bundesländer. Auch heute noch hält er eine "straffere Organisation" des Verfassungsschutzes für notwendig. Forderungen nach einer Abschaffung der Behörde wies Schily aber zurück.

Wer nach dem Rückzug von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm neuer Chef der Behörde wird, ist weiter unklar. Genannt wird derzeit der Name des Koordinators für die Nachrichtendienste im Kanzleramt, Günter Heiß. Aber auch der Referatsleiter für Terrorismusbekämpfung im Innenministerium, Hans-Georg Maaßen, ist im Gespräch.