Nach der Vernichtung von Akten gibt Heinz Fromm als Chef des Verfassungsschutzes auf. Hamburger Behörde fordert Stärkung der Landesämter.

Hamburg/Berlin. Am kommenden Dienstag feiert Heinz Fromm Geburtstag. Seinen 64. Ein Jahr noch, dann wollte er sowieso in den Ruhestand gehen - nach zwölf Jahren an der Spitze des Verfassungsschutzes. Geräuschlos, unauffällig und verschwiegen, so hat er sein Amt geführt. Öffentliche Äußerungen des Juristen sind selten. Am Sonntagabend sprach er noch einmal intern - und bat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) um eine Entlassung zum Ende des Monats. Wenn Fromm nächste Woche Geburtstag hat, ist er ein Geheimdienstchef auf Abruf. Es ist keine einfache Zeit für ihn. Viele zweifeln an Fromm - und an seiner Behörde. Auch wenn er jetzt geht, bleiben die Fragen an ihn und den Verfassungsschutz. Vor allem eine: Warum wurden die Akten zu den vom Bundesamt für Verfassungsschutz als V-Leute angeworbenen Neonazis im Thüringer Heimatschutz vernichtet?

Das Bundesamt hatte V-Leute zur Unterwanderung der Neonazi-Szene in Thüringen angeworben: Operation "Rennstieg", acht Neonazis in den Jahren 1998 bis 2003 sollen es gewesen sein. Sie trugen Decknamen wie Tusche, Tinte, Tobago oder Tonfall. So viel zumindest weiß man noch beim Verfassungsschutz, andere Informationen wurden von einem Referatsleiter in der Kölner Zentrale zerschreddert. Drei Tage vorher hatte sich die Rechtsterroristin Beate Zschäpe der Polizei gestellt.

+++ Der Inlandsgeheimdienst +++

Die Zerstörung der Akten war der Höhepunkt zahlreicher Fehler und Versäumnisse bei der Aufklärung der Mordserie an zehn Menschen.

Fromm sei von der Zerstörung der Akten selbst "überrascht und erschüttert" gewesen, teilte Innenminister Friedrich gestern mit. "Er ist - wie ich - zutiefst besorgt über den dadurch eingetretenen Vertrauensverlust in den Verfassungsschutz." Nun, heißt es, habe er die Reißleine gezogen.

Fromm geht, doch an Aufklärung fehlt es weiterhin. Das kritisiert auch die Opposition. Es sei richtig, dass Fromm nun gehe, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir dem Hamburger Abendblatt. "Ein vorzeitiger Abschied des Behördenchefs in den Ruhestand beantwortet aber weder die offenen Fragen, noch reicht er allein als Signal aus." Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern gehöre "komplett auf den Prüfstand". Die letzten Monate hätten gezeigt, dass die Aufklärung und Erneuerung alleine aus der Behörde heraus nicht funktioniert, hob Özdemir hervor. Die Bundesregierung müsse dafür Sorge tragen, dass sich ein solcher Skandal in Deutschland nicht wiederhole. "Es reicht nicht aus, wenn Innenminister Friedrich diese Aufgabe alleine den Untersuchungsausschüssen in Bund und Ländern überlässt."

+++ Vertrauen zerstört +++

Der Hamburger Bundestagsabgeordnete und Vizevorsitzende der Linken, Jan van Aken, fordert nun sogar die Auflösung der Behörde. Der Dienst sei unkontrollierbar. Dem widersprach Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) - und nannte die Forderung "überzogen und verantwortungslos". Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder hätten in der Vergangenheit unter anderem konkrete Anschlagsvorbereitungen wirkungsvoll verhindern können, sagte der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK) dem Abendblatt. "Die Bedrohung Deutschlands und der Schutz der Bürger vor terroristischen und verfassungsfeindlichen Gruppen erfordern weiterhin den Einsatz des Verfassungsschutzes." Nicht die Auflösung, aber doch "Konsequenzen für die Zusammenarbeit von Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern" forderte nun Ole Schröder (CDU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium. "Es gilt jetzt, die lückenlose Aufklärung um die Taten des NSU fortzusetzen", sagte er dem Abendblatt.

Der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, forderte in der Debatte um eine Neusortierung der Sicherheitsbehörden eine Stärkung der Landesämter: "Nicht überall ist eine Zentralisierung der Arbeit fachlich angebracht und effizient", sagte er dem Abendblatt. "Gerade in vielen operativen Aufgaben sollten künftig eher die vor Ort besser aufgestellten Landesämter gestärkt werden - also beispielsweise bei Ermittlungen, Observationen und gegebenenfalls auch beim Einsatz von V-Leuten." Eine Stärkung des Bundesamtes bei der Auswertung von gesammelten Daten zum Extremismus mache dagegen "großen Sinn". Dies gelte gerade für die vernetzte Neonazi-Szene.

Heinz Fromm hatte schon 2006 das Innenministerium vor einer Verharmlosung der rechtsextremen Szene gewarnt. Doch blieb er dort ungehört. Damals ließ Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Abteilungen zur Beobachtung von Links- und Rechtsextremisten zusammenlegen - gegen den Rat von Fromm, wie nun ein interner Schriftverkehr aus dem Ministerium belegt, der der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. Schon zu Beginn seiner Amtszeit 2000 beschrieb Fromm sogar Ansätze zu einem "Rechtsterrorismus".

+++ Nach Pannenserie: Verfassungsschützer tritt zurück +++

Und doch: Der rechtsterroristischen Gruppierung der Zwickauer Zelle kam der Verfassungsschutz nie auf die Spur. Im Gegenteil: Fehler und Versäumnisse verhinderten die Aufklärung. Als Fromm gerade erst einige Monate im Amt war, verübte das Trio um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe mutmaßlich den ersten Mord.

Mittlerweile existiert wieder eine eigene Abteilung zum Rechtsextremismus beim Bundesverfassungsschutz. Geführt wird sie von Alexander Eisvogel. Bisher ist er Vizechef der Behörde. Er soll nun Fromms Nachfolger werden.