Die Ermittler haben mittlerweile ein Dutzend mögliche Helfer des Zwickauer Neonazi-Trios im Visier

Hamburg/Berlin. Alles sei verwüstet gewesen. Nur das "Gelumpe vom Hitler" im Wohnzimmer hätten die Spezialeinheiten der Polizei nicht angerührt. Das soll Conny S. dem Ordnungsamt gesagt haben, kurz nachdem die Polizei die Wohnung ihres Sohnes Matthias D. gestürmt hatte. Dessen Anwalt hatte Conny S. am Sonntag beauftragt, ein paar persönliche Gegenstände aus der Wohnung zu holen. Die Mutter lebt keine 500 Meter entfernt von ihrem Sohn, dem vierten festgenommenen Helfer des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der Verdacht: Matthias D. soll der sogenannten Zwickauer Terrorzelle zwei Wohnungen besorgt haben.

Matthias D. lebt in Johanngeorgenstadt (Sachsen), man kannte D. in dem beschaulichen Erzgebirgsstädtchen. Noch am Sonnabend habe man ihn auf dem Weihnachtsmarkt im Ort gesehen, berichten Einwohner. Seit gestern sitzt Matthias D. in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ Haftbefehl.

Der Kreis möglicher Helfer des rassistischen NSU wächst weiter. Bei ihren Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Zelle hat die Bundesanwaltschaft derzeit rund ein Dutzend Personen im Blick. "Ein Teil davon sind Beschuldigte", sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft dem Hamburger Abendblatt. Ob auch verdächtige Personen aus Norddeutschland im Visier der Sicherheitsbehörden stehen, dazu wollte der Sprecher keine Angaben machen. Die rechtsextreme Zelle mit ihren drei mutmaßlichen Mitgliedern Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe soll für bundesweit zehn Morde verantwortlich sein.

Im Zuge der Ermittlungen gegen die Neonazis und ihre mutmaßlichen Helfer wird auch die Debatte um die Folgen aus den Morden an zehn Menschen debattiert. Bund und Länder wollen bereits an diesem Freitag, eine Woche nach der Entscheidung der Innenministerkonferenz, das geplante Abwehrzentrum Rechtsextremismus eröffnen. Die Einrichtung soll nach Angaben des Innenministeriums Bedrohungen aus dem Rechtsextremismus besser beurteilen und operative Maßnahmen wie Festnahmen erleichtern. Wie stark die Behörden bei der Ermittlung gegen Rechtsextremisten bisher versagt haben, wollen die Grünen im Bundestag mit einem Untersuchungsausschuss aufklären. Aus CDU und SPD gab es Signale, wonach eine Bund-Länder-Kommission den Fall der Zwickauer Terrorzelle untersuchen soll. Dieses Gremium könne aber "nicht ernsthaft die Antwort auf den größten Skandal der Sicherheitsbehörden sein", kritisierten die Grünen.

Ein mögliches Versagen der Ermittler ist die eine Seite der Debatte um die mutmaßlichen Morde der Zwickauer Neonazis. Eine weitere Frage ist, inwieweit Rechtspopulismus und Rassismus im Alltag ein gesellschaftliches Fundament legen für die radikalen Täter des Trios. Der Rechtspopulismus hat zwar abgenommen - er ist aber gefährlicher geworden. Das ist eines der Ergebnisse der Langzeitstudie "Deutsche Zustände", die der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer gestern in Berlin vorstellte. Die vergangenen zehn Jahre, das "entsicherte Jahrzehnt", berge neue Gefahren durch Krisen und eine "massive" soziale Spaltung. 9,2 Prozent der Menschen in Deutschland stimmen fremdenfeindlichen oder islamfeindlichen Positionen von Rechtspopulisten zu. 2003 waren es noch 13,6 Prozent. Zugleich zeigt sich jedoch, dass die Rechten gewaltbereiter sind. Dem Satz "Manchmal muss ich Gewalt einsetzen, um nicht den Kürzeren zu ziehen" stimmen 29 Prozent aller Personen mit einer rechten Einstellung zu. 2003 war es jeder Vierte. Die Gewaltbereitschaft ist damit in diesem Jahr auf das höchste gemessene Niveau gestiegen. Außerdem tragen die Rechten nach Erkenntnissen der Forscher ihren Protest schneller auf die Straße: Über 40 Prozent der Rechten würden aber heute für ihre Ziele demonstrieren, 2009 waren es noch 30 Prozent. Rechte wählen nicht mehr bevorzugt konservative Parteien - sie gehen stattdessen zunehmend gar nicht zur Wahl und verteilen sich fast gleich auf SPD und Union.

Der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Neonazi-Morde die "fatale Aktualität" der Studie an: Zu den "deutschen Zuständen" gehöre auch, "dass es ein braunes Netzwerk gibt" und ein Klima, in dem zunächst die Angehörigen der Opfer verdächtigt worden seien.