Nach der Hektik von Euro-Rettung und G20-Gipfel muss sich Angela Merkel jetzt wieder dem Klein-Klein ihrer Koalition in Berlin widmen.

Berlin. Angela arbeitet. Angela sorgt. Angela kämpft. Würde es jetzt eine Plakat-Kampagne für die Bundeskanzlerin geben, sie könnte genau so aussehen wie jene von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September. Renate arbeitet, Renate sorgt, Renate kämpft - so prangte es auf den Plakaten in der Hauptstadt, und Spitzenkandidatin Künast war auf riesigen Fotos zu sehen, mit Kindern oder mit Anzugträgern, gestikulierend, verhandelnd, problemlösend.

Die Bilder von Angela Merkel sehen im Moment auch so aus. Vor allem aus Brüssel und Cannes. Auch am Freitagmorgen wieder. Noch bevor das Treffen der G20-Staats- und Regierungschefs offiziell begann, sah man die Kanzlerin gestikulierend, verhandelnd, problemlösend mit Japans Ministerpräsident Yoshihiko Noda, mit dem neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi, mit den Premierministern von Großbritannien, Kanada oder Äthiopien. "Arbeitsatmosphäre beim G20-Gipfel in Cannes" verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert im Internet über den Kurznachrichtendienst Twitter und stellte ein frisch geschossenes Foto dazu. Es zeigte die Kanzlerin, zurückgezogen in eine Ecke mit US-Präsident Barack Obama. Er erklärt ihr etwas mit erhobenem Zeigefinger, Merkel schaut skeptisch, hat die Hände verschränkt. Angela arbeitet. Angela sorgt. Das ist die Botschaft.

Kein Motiv ist zufällig ausgewählt in einem Politikbusiness, in dem es mehr denn je um Personen und Bilder geht, um Symbole und auch um Inszenierung. Die Merkel-Inszenierung ist häufig die der seriösen, hart arbeitenden, kühlen und emotionslosen Bundeskanzlerin. Sie ist nicht der schillernde Brioni-und-Zigarren-Basta-Typ wie ihr Vorgänger, der SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Merkel hat an diesem Freitag einen schwarzen Hosenanzug als Garderobe gewählt, er passt zu dem Regen und dem grau bedeckten Himmel über dem französischen Badeort, in dem sonst die Schönen, Reichen und Berühmten dieser Welt dem süßen Leben nachgehen.

In den vergangenen beiden Tagen ist Cannes jedoch zur Bühne der Mächtigen geworden, und Merkel spielt in den immer neuen Akten der Euro-Rettung die Hauptrolle. Gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy vertritt sie das ökonomische und politische Machtzentrum Europas. Die beiden bestimmen, wo es bei der Rettung der gemeinsamen Währung langgeht. Sie bringen die anderen Chefs der Euro-Zone auf ihre Linie.

Nur kurz ist der Kanzlerin der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou in die Parade gefahren, als er verkündete, seine Bürger über die zuvor in Brüssel beschlossenen, lange herbeigesehnten und maßgeblich von Deutschland mitbestimmten Hilfsmaßnahmen gegen die Krise abstimmen zu lassen. Doch dann hat es keine 24 Stunden gedauert, und Papandreou ist von seinem Plan abgewichen. Kein Geld mehr, raus aus dem Euro, raus aus der EU: Das waren die Drohungen von Merkel und Sarkozy. Sie haben gewirkt. Die Kanzlerin kann das als ihren Erfolg verbuchen. "Für uns zählen Taten", hatte sie am Donnerstag zu den griechischen Sparbemühungen gesagt. "Ich kann die Taten noch nicht erkennen." Die Kanzlerin ist in langen Tagen und Nächten einer der turbulentesten Wochen, die Europa je erlebt hat, von der häufig gescholtenen "Madame Non" zur Machtpolitikerin geworden. Ihre Rastlosigkeit zwischen Brüssel, Berlin und Cannes erinnert dabei an den Radiohit von Tim Bendzko. "Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir. Noch 148 Mails checken. Wer weiß, was mir dann noch passiert."

Merkel hat die Euro-Rettung zu ihrem Thema gemacht, auch für die Bundestagswahl 2013. In zwei großen Abstimmungen über den Euro-Rettungsschirm EFSF und Bürgschaften in Billionen-Höhe hat sie nicht nur ihre eigene Koalition, sondern auch große Teile der Opposition hinter sich gebracht. Wann immer sie in den vergangenen Monaten öffentlich gesprochen hat, ging es auch um die Krise. "Scheitert der Euro, scheitert Europa", hat sie dann gesagt. Wenn es in der Krise eine Sehnsucht nach Führung gibt - Merkel hat versucht, ihr gerecht zu werden.

Die Bundeskanzlerin und Chefin einer eher glücklosen Regierung aus Union und FDP hat das in Brüssel und Cannes geschafft, zu Hause in Berlin hat lange das Gegenteil dominiert. Machtpolitik, taktisches Kalkül, "Angelas Führungsrolle", wie US-Präsident Obama schmeichelnd zu Protokoll gab - all das vermissen viele deutsche Wähler hierzulande an ihr. Zögern und Zaudern wirft man ihr vor. Trotz der Bilder, trotz der Appelle. Nur die wenigsten Deutschen verstehen, warum sie als Steuerzahler mit horrenden Summen für ein Land bürgen müssen, das ihnen immer mehr wie ein Fass ohne Boden vorkommt. Zur mächtigsten Frau der Welt hat sie das US-Magazin "Forbes" am Mittwoch erklärt. Am gleichen Tag veröffentlichte das Magazin "Stern" eine neue Forsa-Umfrage: Jeder Zweite will Merkel nach 2013 nicht mehr als Bundeskanzlerin haben.

Interessant ist dabei, dass sie offenbar unter den schwarz-gelben Querelen in Berlin zu leiden hat. Eine Mehrheit von 58 Prozent findet laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend nämlich, dass die Kanzlerin die deutschen Interessen beim EU-Gipfel in Brüssel vergangene Woche erfolgreich vertreten hat. Die gesamte Bundesregierung hat jedoch nur für 37 Prozent der Befragten die richtigen Entscheidungen in der Schuldenkrise getroffen.

Und der Ärger wird weitergehen. Während die Kanzlerin mit ihren europäischen Partnern über Milliarden und Billionen verhandelt hat, geht es für sie ab jetzt wieder mit den kleinen Koalitionspartnern CSU und FDP um einstellige Millionenbeträge. In einem seit Beginn dieser Koalition andauernden Kampf, wie man Mittelschichtler und Geringverdiener ein bisschen steuerlich entlasten kann, haben sich Union und Liberale fast unlösbar miteinander verheddert. Auch für den anstehenden Koalitionsgipfel am Sonntag im Kanzleramt ist nur schwer vorstellbar ist, wie eine Lösung aussehen soll. Nach den vielen Nachtsitzungen wird mindestens eine weitere folgen. Die mittlerweile ziemlich gereizte FDP will den Solidaritätszuschlag senken, die CDU lieber die kalte Progression abbauen. Und CSU-Chef Horst Seehofer hat zwischendurch an einem eigenen Modell gebastelt.

Zahlreiche weitere Baustellen wie Vorratsdatenspeicherung, Pflegereform und Betreuungsgeld belasten zudem die Zusammenarbeit. Was im Gegensatz zur Weltbühne wie das übliche Klein-Klein im Koalitionsalltag wirken könnte, ist jedoch eine neue Mammut-Aufgabe für die Kanzlerin. Nachdem sie hinter die Euro-Rettung zumindest fürs Erste vorsichtig einen Haken setzen kann, geht es jetzt um die Rettung ihrer eigenen Regierung. Längst machen Gerüchte die Runde, dass nicht mehr jeder der Koalitionäre Lust hat, das Spiel noch weitere zwei Jahre fortzuführen.

Und dann ist da auch noch die Basis, die sie beim CDU-Parteitag in der nächsten Woche in Leipzig befrieden muss. Der Streit um die Abschaffung der Hauptschule, der die Partei spaltet, wird dann wieder hochkochen. Und die Debatte um den Mindestlohn. "Wendekanzlerin" wird sie genannt, eine, die mal wieder ihre Prinzipien über Bord geworfen hat. Nach dem Aus für Atomkraft und Wehrpflicht soll es jetzt doch eine Lohnuntergrenze geben - und das, obwohl Merkel dem Mindestlohn bislang eine klare Absage erteilt hat. Auch in den kommenden Monaten wird die Kanzlerin ihre Ausdauer unter Beweis stellen müssen. Sorgen, arbeiten, kämpfen eben. Vielleicht hat Regierungssprecher Seibert bald ein entsprechendes Bild aus dem Kanzleramt.