Der Poker über Steuerentlastungen geht weiter: Auch nach ihrem Gipfeltreffen hält die Koalition alle Varianten weiter auf dem Prüfstand.

Berlin. Die Koalition hat ihren Steuerstreit bei ihrem Gipfeltreffen nicht ausgeräumt – nun will sie die Entlastungen in weiteren aufwendigen Verhandlungen festzurren. Die CDU widersprach am Samstag der Darstellung der CSU, das von CDU und FDP präsentierte Steuersenkungsmodell sei vorerst vom Tisch. Unmittelbar vor einem weiteren Spitzentreffen der Koalition am 6. November sollen mit den Unions-Ministerpräsidenten die Möglichkeiten für Steuersenkungen ausgelotet werden. Am selben Tag will die Koalition eine Paketlösung für ihre Konflikte präsentieren – auch zu der seit Monaten auf Eis liegenden Pflegereform.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte in dem Treffen bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitagabend infrage gestellt, dass das erst am Vortag von FDP-Chef Philipp Rösler und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegten Modell umgesetzt werden könne. „Mit mir wird es nur eine Steuerreform geben, die am Ende auch im Gesetzblatt stehen kann“, sagte er nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa. Bereits nach Verkündung der Pläne hatte Seehofer klargestellt, diese seien mit ihm nicht abgesprochen.

Vizekanzler Rösler sagte der „Bild am Sonntag“, Merkel habe die „Missverständnisse“ um die Steuern bei dem Spitzentreffen auf ihre Kappe genommen. Seehofer habe sich daraufhin auch zur Bekämpfung der „kalten Progression“ bekannt. Die Regierung betonte laut „Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“: „Es gab keine Entschuldigung der Kanzlerin.“

Schäuble und Rösler wollen die „kalte Progression“ über die Einkommenssteuer abmindern. Bei diesem Effekt kann trotz eines Einkommensanstiegs die Kaufkraft eines Steuerzahlers sinken. Dies soll durch eine Korrektur der Steuertarife samt höherem Grundfreibetrag erreicht werden. Ab 2013 soll die Entlastung bis zu sieben Milliarden Euro betragen. Die SPD hatte eine Blockade im Bundesrat angekündigt.

Merkel habe in der Spitzenrunde deutlich gemacht, dass sie den Vorschlag von Schäuble und Rösler als richtig empfinde, heiß es in CDU-Kreisen. Auch mehrere Unionsländer hatten daraus folgende Einnahmeverluste aber abgelehnt.

In der CSU hieß es, wegen der Möglichkeit der SPD, den Schäuble-Rösler-Plan im Bundesrat zu blockieren, sei eine Kürzung des Solidaritätszuschlags denkbar. Die Länder müssten dem nicht zustimmen. Nun werden die Varianten über den „Soli“ und die Einkommensteuer laut CDU „gleichberechtigt geprüft“. Laut „Wirtschaftswoche“ lässt Schäuble Entlastungen beim „Soli“ bereits durchrechnen.

Dass es Entlastungen für kleinere und mittlere Einkommen geben solle, sei aber unstrittig, hieß es in der CDU. Auch die CSU will seit längerem eine Korrektur der „kalten Progression“. Beim Bund dürfte dies auf Einnahmeausfälle von drei bis vier Milliarden Euro hinauslaufen.

Unstrittig ist laut CDU auch, dass konstengünstige Lösungen für Verbesserungen für Demenzkranke in der Pflege gesucht werden. Doch auch beim Zankapfel Pflegereform kamen die Koalitionäre nicht weiter. Wie auch in anderen Bereichen soll es bis in zwei Wochen weitere Beratungen in einer Arbeitsgruppe geben. Strittig ist vor allem, ob und wie eine zusätzliche Kapitalreserve geschaffen und ob es höhere Pflegebeiträge geben soll.

Insgesamt gebe es noch keine konkrete Einigung, weil für November gemeinsame Beschlüsse angestrebt seien, so CDU, CSU und FDP übereinstimmend. Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) formuliere nun die konkreten Arbeitsaufträge an die Arbeitsgruppen.

Die Steuersenkung ist ein zentrales Wahlversprechen der Liberalen, die in Umfragen unter fünf Prozent liegen. Rösler sagte bei einem Bundeskongress der Jungen Liberalen in Oldenburg: „Die Menschen wollen nicht nur hören, wie das Schnitzel bestellt wird, sie wollen auch sehen, dass es geliefert wird.“

Um das Wachstum zu stützen, ist eine Aufstockung der Verkehrsinvestitionen um eine Milliarde Euro schon 2012 im Gespräch. Der Koalitionsgipfel habe Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zudem den Auftrag erteilt, bis Januar ein Modell für die Einführung einer Pkw-Maut durchzurechnen, wie sie die CSU fordert.

Angepeilt wird eine Verständigung bei der Zuwanderung von Fachkräften. Aus der FDP hieß es, die Einkommensgrenze dafür solle von 63 000 auf 55 000 Euro reduziert werden. Die FDP wollte 40 000 Euro erreichen. Die Union betonte, es gebe noch keinen Beschluss.

Die Opposition sieht das Aus der Regierung nahen. „Diese Regierung ist nicht mehr regierungsfähig“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast fragte: „Wie lange will Frau Merkel sich und dem Land dieses peinliche Trauerspiel noch zumuten?“