Bei einem überraschenden Staatsbesuch in Kabul trifft der Bundespräsident Menschenrechtler und kritisiert Korruption und Drogenhandel.

Hamburg/Kabul. Staatsbesuche brauchen Bilder und Symbole, um von der Welt wahrgenommen zu werden. Für ein solches Symbol hat Bundespräsident Christian Wulff bei seinem Blitzbesuch gestern in Afghanistan gesorgt: Der deutsche Staatschef überreichte seinem Amtskollegen Hamid Karsai ein blau lackiertes Kinderfahrrad mit Radkorb und Stützrädern - ein Geschenk an Karsais vierjährigen Sohn Mirvais. Dazu gab es ein Paket mit Schokolade.

Es war eine wohlplatzierte Geste Wulffs: Mitten in der militärisch abgeschotteten Sicherheitszone des Kabuler Regierungsviertels, im Zentrum eines seit Jahren umkämpften Bürgerkriegslandes, wirkt die so unkriegerische Gabe geradezu rührend; wie ein Bemühen um Normalität in einer chaotischen Region. Dennoch konnte sich der Deutsche nicht von den Umständen frei machen: Seine Visite war bis zur letzten Minute geheim gehalten worden - aus Angst vor Anschlägen. Fotos von dem Flug Wulffs nach Kabul zeigen den Politiker - der ohne seine Frau Bettina reiste - zudem in schusssicherer Weste. Nicht ohne Grund: Erst vor wenigen Wochen hatte Wulff einen geplanten Besuch in Afghanistan nur wenige Stunden vor seiner Abreise absagen müssen, nachdem ein Terrorkommando am 13. September die US-Botschaft und das Nato-Hauptquartier angegriffen und sich in einem Hochhaus in der Stadt verschanzt hatte.

Schon Wulffs Vorgänger Horst Köhler war nach Afghanistan gereist. Er hatte allerdings nur die deutschen Truppen im Norden des Landes besucht. Dass er sich nicht nach Kabul und zu einem Treffen mit Karsai gewagt hatte, hatte zu diplomatischen Verstimmungen geführt. Wulff schien mit dem ersten Besuch eines deutschen Staatsoberhaupts in Kabul seit 44 Jahren diese Scharte nun auswetzen zu wollen.

Noch vor seinem Treffen mit seinem afghanischen Amtskollegen traf der Niedersachse mit einheimischen Menschen- und Bürgerrechtlern zusammen. Dabei stand neben der Erörterung der Menschenrechtslage und der Situation der Frauen vor allem die politische Zukunft Afghanistans im Mittelpunkt. "Ich habe großen Respekt vor den Leistungen der afghanischen Zivilgesellschaft", betonte Wulff. Diese spiele im Übergangsprozess hin zur vollen Souveränität des Landes eine entscheidende Rolle. Doch viel Grund zu Optimismus gibt es in puncto Menschenrechten am Hindukusch nicht. Erst vor einer Woche wurde der Inhalt eines Berichts der Vereinten Nationen bekannt. Darin wirft die Uno afghanischen Sicherheitskräften systematisches Foltern von Gefangenen vor.

***Taliban-Angriff auf Kabul nach 20 Stunden niedergeschlagen***

***De Maizière zu unangekündigtem Besuch in Afghanistan***

Bei Wulffs Besuch wurde klar, dass auch die Zukunft des Landes dunkel aussehen könnte. So warnten Vertreter von Frauenorganisationen davor, dass Errungenschaften im Kampf gegen die Diskriminierung nach dem Abzug der internationalen Truppen gefährdet sein könnten - vor allem wenn es zu einem politischen Ausgleich zwischen Regierung und radikalislamischen Kräften kommt. Die Internationale Gemeinschaft und die Afghanen wollen diese und andere Fragen auf der Afghanistan-Konferenz Anfang Dezember in Bonn beraten.

Der Vorbereitung dieser Konferenz diente auch das anschließende Treffen mit Karsai, der Wulff als "alten Freund Afghanistans" begrüßte. Die Bundesrepublik sei an dauerhaften stabilen Beziehungen interessiert, auch "weil wir die gute Entwicklung anerkennen", sagte Wulff. Karsai bedankte sich für die deutsche Unterstützung und erklärte im Hinblick auf die Afghanistan-Konferenz: "Bonn soll das Fundament für die Zukunft Afghanistans legen, für Wohlstand, Stabilität und Frieden."

Auf diese Stabilität hofft der Westen allerdings schon seit vielen Jahren - in diesem Jahr jährt sich der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch zum zehnten Mal. Dennoch hat sich die Sicherheitslage kaum verbessert. Die USA und mehrere Verbündete, darunter auch Deutschland, haben inzwischen einen Abzug ihrer Truppen beschlossen. Das 5000 Mann starke deutsche Kontingent soll ab Anfang 2011 schrittweise reduziert werden. Die vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte soll 2014 erfolgen. Auch um sich über den Stand dieses Übergabeprozesses zu informieren, war Wulff nach Afghanistan gereist. Aus diesem Grund begleitete ihn auch Volker Wieker, der Generalinspekteur der Bundeswehr. Wieker war selbst als Chef des Stabes zeitweilig Nummer drei im Hauptquartier der Internationalen Afghanistan-Truppe (Isaf). Neben Wieker reiste auch der Afghanistan-Beauftragte der Bundesregierung, Michael Steiner, mit. Steiner hatte bereits im Vorfeld klargestellt: "Ende 2014 wird es in Afghanistan keine internationalen Kampftruppen der Isaf mehr geben. Und damit auch keine Kampftruppen der Bundeswehr mehr." Im Augenblick sind noch etwa 140 000 ausländische Soldaten am Hindukusch stationiert.

Wulff versprach, Deutschland werde Afghanistan dabei zur Seite stehen, seinen Bürgern ein Leben in Frieden und Wohlstand zu ermöglichen - auch nach der Abgabe der Sicherheitsverantwortung 2014. Kabul sei heute wieder eine pulsierende Hauptstadt. Lange sei den Mädchen der Schulunterricht verwehrt gewesen, heute gingen 2,7 Millionen Mädchen zur Schule. Zudem seien Frauen in der Regierung und im Parlament vertreten. Aber: "Immer noch gehören Terror und Gewalt in Afghanistan zum Alltag. Kriminalität, Drogenwirtschaft und Korruption bestimmen weiterhin das Leben in vielen Bereichen des Landes", sagte Wulff.

Nachmittags flog er von Kabul weiter und besuchte die Bundeswehrsoldaten im nordafghanischen Masar-i-Scharif. Er gedachte dort in einem Ehrenhain der 52 deutschen Soldaten, die in Afghanistan gefallen sind.