Helmut Schmidt, Theo Sommer, Klaus von Dohnanyi und Thomas Oppermann - vier Zeugen des Jahrhunderts diskutieren über Außenpolitik.

Hamburg. Der erbitterte Kampf um den Euro, die hitzige Debatte um den Libyen-Einsatz oder um Sinn und Dauer der Afghanistan-Mission - deutsche Außenpolitik steht besonders häufig im Fokus. Doch wie soll sie gestaltet werden, was kann und soll sie leisten, was sollen ihre Leitlinien sein?

Darüber debattierten gestern in Hamburg einige Männer, die deutsche Außenpolitik in entscheidender Weise als Politiker mitgestaltet oder als Wissenschaftler und Journalist verfolgt haben. Im renovierten Atlantic-Hotel trafen sich der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der ehemalige Bundesbildungsminister und frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der einstige "Zeit"-Chefredakteur und Herausgeber Theo Sommer sowie der emeritierte Politikprofessor Thomas Oppermann. Alle vier Diskutanten sind seit 50 Jahren Mitglied in diesem, wie genüsslich vermerkt wurde, "vornehmen Thinktank". 50 Jahre deutsche Außenpolitik in einer Stunde und sieben Minuten - der Abend im Atlantic war auch eine ambitionierte Tour d'Horizon mit vier Zeitzeugen.

Ihre politischen Biografien sind in besonderer Weise verflochten: Sommer war unter dem damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt 1969 und 1970 Leiter des Planungsstabs im Bonner Verteidigungsministerium, Dohnanyi war in der Kanzlerschaft Schmidts Staatssekretär im Außenministerium. Sie sind Weggefährten der Zeitgeschichte. Und sie sind Freunde. Schmidt nennt Dohnanyi nur "Klaus" und Theo Sommer kurz "Ted".

Die Veranstaltung fand statt auf Einladung des Abendblatts und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Moderator Stephan Detjen, der Chefredakteur des Deutschlandfunks, findet für diesen Abend ein grobes Raster für 50 Jahre deutsche Außenpolitik: West, Ost und Europa. Schmidt erläuterte, dass sein Interesse an Außenpolitik durch die Debatte um die deutsche Wiederbewaffnung in den 50er-Jahren geweckt worden sei. "Wir waren nicht der Meinung, dass sich (der damalige Bundeskanzler) Konrad Adenauer den Oberbefehl über die in Entstehung begriffenen deutschen Streitkräfte vorbehalten sollte", erzählte Schmidt. Durch eine Verfassungsänderung sei der Befehl dann auf den Verteidigungsminister übertragen worden - nur im Kriegsfall übernimmt der Bundeskanzler.

Das Zitat des damaligen SPD-Oppositionsführers Kurt Schumacher, der Adenauer "Kanzler der Alliierten" nannte, lieferte das Stichwort zur West-Debatte. Der Widerstand des KZ-Überlebenden Schumacher gegen die West-Einbindung habe auch daraus resultiert, dass er "glaubte, in einem menschlich überschaubaren Zeitraum werde das Vaterland wieder zusammenkommen", wie Schmidt sagte. Die SPD habe bis 1959 gebraucht, um sich von Schumachers Standpunkt zu lösen und die Westbindung zu akzeptieren. Dohnanyi verwies auf die Zwiespältigkeit in der Seele der Deutschen: Einerseits sei da der Wille zur nationalen Selbstbehauptung, andererseits der Wunsch nach einem offenen "Weltbürgertum mit utopischen Zügen".

Sommer entgegnete, die Westbindung sei damals angesichts der sowjetischen Expansion sehr wohl im deutschen Interesse gewesen. "Das war aber strittig", warf Dohnanyi ein. Richtig sei es dennoch gewesen.

Nach Ansicht des Wissenschaftlers Oppermann habe es damals noch gar keine souveräne Außenpolitik gegeben - wohl aber souveräne Politiker. Das könne man erkennen an der Westpolitik Adenauers, der Ostpolitik Willy Brandts oder Helmut Kohls Zehn-Punkte-Plan für die deutsche Vereinigung 1989.

Zur Frage, ob sich die atlantische Orientierung Richtung USA nach dem Fall der Mauer verändert habe, sagte Oppermann: "Es gab einen Wechsel. Deutschland ist heute etwas freier geworden. Man kann von einer aufgeklärten Partnerschaft sprechen."

Dohnanyi unterstrich, die Entscheidung Deutschlands, sich nicht am Libyen-Einsatz der Alliierten zu beteiligen, sei "im Kern" richtig gewesen. Wie Schröder im Fall Irak sollte die Bundesregierung auch hier den Partnern aber auch klar sagen: "Der Einsatz ist ein Fehler." Helmut Schmidt gab zu bedenken, dass die Entscheidung der Bundesregierung "erstaunlicherweise ohne langes Nachdenken" gefallen sei. Der Alleingang Deutschlands mit der Enthaltung im Fall Libyen sei "hoffentlich kein Präjudiz" für deutsche Außenpolitik. Dohnanyi entgegnete mit der Frage, warum Deutschland sich nach Frankreich oder Großbritannien richten solle - "warum hat Paris nicht gewartet, was wir dazu sagen?"

Als das Stichwort "Osten" fiel, waren alle Podiumsgäste weit weg von Willy Brandts "Ostpolitik". Im Fokus stand ein neues Ostverständnis. "Im Westen mangelt es uns an Verständnis für die mehr als 4000 Jahre alte Kultur Chinas", sagte Schmidt. Je länger er sich damit befasse, desto größer werde sein Respekt. Ferner sei es für die Europäer einschließlich der Russen, "von ganz großer Bedeutung", mit der islamischen Welt zusammenzuarbeiten und Frieden zu bewahren. "Die Überheblichkeit des Westens gegenüber der islamischen Welt ist einzigartig in der Geschichte", betonte der frühere Bundeskanzler. Dohnanyi setzt nach: "Wir müssen unsere kulturelle Arroganz ablegen." Allerdings dürfe man Russland nicht ausschließen. Deutschland solle sich nicht einseitig stark an den Westen binden, dass die wichtige Partnerschaft mit Russland vernachlässigt werde.

Auf dem Podium diskutierte eine Generation, deren politisches Denken noch immer von den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus geprägt ist. Man spürt es in der Vehemenz, mit der ein Helmut Schmidt die Worte in den Saal entlässt: "Das darf sich nicht wiederholen." Und dafür braucht es ein geeintes Europa. An einem Abend, an dem sowieso wenig gestritten und viel ausgetauscht wurde, war dies vielleicht der Gedanke mit der stärksten Geschlossenheit.

Doch auch in einer Zeit der Globalisierung brauchen die einzelnen Nationalstaaten Europa - sowohl Altkanzler Schmidt als auch die anderen sehen in ihr so etwas wie die ständige Vertretung Deutschlands in einer Welt, die immer stärker auch bestimmt wird von China und den islamischen Staaten. Dazu trage auch die Demografie bei. "Ende des 21. Jahrhunderts wird die europäische Bevölkerung noch etwa vier Prozent der globalen Menschheit ausmachen", sagte Theo Sommer. Es sei naiv zu glauben, einzelne europäische Staaten könnten dann noch ihre Interessen allein in der Welt vertreten.

Europa, sagte Schmidt zum Abschluss der Diskussion, stehe nicht vor einer Existenzkrise. Dieser Gedanke gehe ihm zu weit. "Es ist eine Krise der europäischen Institutionen, wie sie sich seit den Maastrichter Kriterien zu Beginn der 1990er entwickelt haben." Die Europäische Union kranke vor allem daran, dass es unter den einzelnen Institutionen keine klare Verteilung der Kompetenzen gebe.

Auch der Euro sei nicht gefährdet, sagte Schmidt. "Das ist Geschwätz von Politikern und Journalisten." Nach innen und nach außen sei der Euro stabiler, als es die D-Mark in ihren letzten zehn Jahren je gewesen sei. Das gelte für die Inflationsrate genauso wie für die Preisentwicklung oder den Wechselkurs. "Die Schweizer waren klug, dass sie ihren Franken an den Euro gekoppelt haben." Und eben die Rettung dieser gemeinsamen Währung Euro sei es, betonte Theo Sommer, die Europa weiter zusammenschweiße.