Der Streit über Griechenland-Hilfen schwelt weiter, das Vertrauen ist angeschlagen. Zeit für Merkel, ein Buch über Rösler vorzustellen.

Berlin. Angela Merkel ist nicht nur verblüfft, nein, über die eben gestellte Frage ist sie richtig bestürzt. Ob sie daran gedacht habe, diesen Termin noch abzusagen, hat eine Journalistin gefragt. Die Bundeskanzlerin antwortet empört: "Nein. Warum auch?" Diese Frage will die Kanzlerin ganz bewusst nicht verstehen. Als ob es in Zeiten wie diesen, in denen Kanzlerin und Vizekanzler in historischen Fragen wie der Rettung Griechenlands einen Dissens pflegen, doch das Selbstverständlichste sei, gut Wetter zu machen.

+++ Die Vorleserin: Merkel stellt Röslers Biografie vor +++

Wie gut oder schlecht das Verhältnis zwischen Merkel und ihrem Stellvertreter Philipp Rösler ist, diese Frage bewegt an diesem Dienstagmittag die Gäste in der Katholischen Akademie in Berlin-Mitte. Beide Spitzen der Bundesregierung sind hierhergekommen, um eine Biografie Röslers vorzustellen. Geschrieben hat das Buch "Glaube. Heimat. FDP" der Leiter des Hauptsstadtbüros der "Rheinischen Post", Michael Bröcker. Und Merkel gibt sich bei ihrer Vorstellung des Werks auffallend Mühe, das Verbindende zwischen ihr und Rösler zu beschwören. Dass ihr Stellvertreter "eine der außergewöhnlichsten Politikerbiografien" aufzuweisen habe, sagt sie nicht, ohne zugleich ihre eigene Lebensgeschichte in der Politik als außergewöhnlich zu beschreiben.

So wie Merkel und Rösler einträchtig nebeneinander auf den Korbstühlen sitzen, wie sie sich immer wieder freundliche Blicke zuwerfen, möchte man glauben, diese Bundesregierung wisse nicht wohin mit all ihrer Harmonie. Nur dass es so nicht ist, und erst recht nicht zwischen Merkel und Rösler, das bleibt beim öffentlichen Aufeinandertreffen der Kanzlerin und des Wirtschaftsministers außen vor. Das Vertrauensverhältnis beider gilt als angespannt, manche beschreiben es schon als zerrüttet. Und das nach erst gut vier Monaten, in denen Rösler Merkels Hauptansprechpartner in der schwarz-gelben Regierung ist.

Das Misstrauen ist früh gesät worden. In zentralen Feldern von Steuern bis hin zur Euro-Rettung sind sich Rösler und Merkel kaum nähergekommen. Während Rösler nach seinem Amtsantritt als FDP-Chef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler der Regierungschefin eine schriftlich fixierte Absichtserklärung abnötigte, die die grundsätzliche Einigung auf Steuerentlastungen zum 1. Januar 2013 zum Inhalt hat, dürfte die tatsächliche Entscheidung über die Steuerpolitik erst in den kommenden Wochen fallen. Die Steuerschätzung soll den Koalitionären den finalen Aufschluss darüber geben, wie viel Milliarden Euro sie dem Volk mehr zur Verfügung stellen wollen. Von fünf bis zehn Milliarden Euro ist die Rede, dazu noch von einer Abmilderung der kalten Progression.

Große Sprünge, so viel ist klar, wird die Koalition nicht machen können. Einmal mehr könnte die FDP, 2009 noch als Steuersenkungspartei überwältigend gewählt, düpiert dastehen. Und für Rösler, der in seiner Antrittsrede als Parteichef davon sprach, ab jetzt zu liefern, könnte der Herbst auch parteiintern noch unangenehmer werden, als es der Sommer schon war.

Wären es nur die Steuern, über die sich Rösler und Merkel streiten, müsste man sich um das Verhältnis der Kanzlerin zu ihrem Stellvertreter wenig Sorgen machen. Doch Merkel und Rösler haben inzwischen ein grundlegenderes Problem miteinander. Sie sprechen in unterschiedlicher Offenheit über die finanzielle Zukunft Griechenlands. Rösler möchte gegen den Willen der Kanzlerin partout die mögliche Insolvenz Griechenlands erwägen dürfen. Und dass ein Machtwort in dieser Sache den Vizekanzler nicht bändigt, hat Merkel inzwischen auch lernen müssen.

Je tiefer die FDP zuletzt fiel, desto unberechenbarer wurde sie. Und es ist Rösler selbst, der gegenüber Merkel zur Unberechenbarkeit neigt. Beim Kommunikationsstil fängt es an: Die geordnete Insolvenz Griechenlands sei gar nicht das Problem gewesen, sondern das Gerede über Denkverbote, beschwert sie sich vor den Gästen noch einmal über Rösler. Darüber habe sie mit dem Wirtschaftsminister "mehrere philosophische Debatten geführt". Röslers Klagen über "Denkverbote" haben Merkel, die einstige Vertreterin der Bürgerbewegung in Ostdeutschland, offenkundig verletzt. Selbst in der DDR habe man ihr das Denken nicht verbieten können, fügt sie an.

Merkel mit ihren 57 Jahren und ihren mehr als 20 Jahren Erfahrung auf bundespolitischer Bühne spielt in dieser Situation all ihre Erfahrung aus. Und auch bei der Präsentation der Biografie bleibt sie ihrem Kommunikationsstil treu - lieber weniger sagen als zu viel: "Nett, fix, schnell" - so habe sie ihn beim Kennenlerntermin im Kanzleramt im Herbst 2009 erlebt. Es war die Zeit der Koalitionsverhandlungen, Rösler verhandelte mit Ursula von der Leyen über die geplante schwarz-gelbe Gesundheitsreform, und Merkel wollte diesen Landesminister aus Hannover einmal unter die Lupe nehmen. Kurz danach war Rösler Gesundheitsminister, weitere anderthalb Jahre später Merkels Stellvertreter. Eine Karriere, der Merkel ihren Respekt zollt: Das oft zitierte Bild vom "netten Herrn Rösler" will Merkel deshalb so nicht stehen lassen. Nettigkeit sei eine völlig falsche Kategorie. "Der ist einfach ein Homo politicus", stellt die Kanzlerin fest. Und sie bewundere, wie sich der 38-Jährige seine Reden einprägen könne. Einen Rat hat sie für den FDP-Chef auch noch übrig: "Nicht verrückt machen lassen."

Rösler freut sich über die warmen Worte seiner Regierungschefin. Das rasende Tempo, in dem er vom Landespolitiker zum Vizekanzler aufstieg, hat ihn verändert: Realistischer und misstrauischer sei er in Berlin geworden, so beschreibt ihn auch die Kanzlerin. Rösler wiederum gibt zu, er habe die Geschwindigkeit und die Größe der Entscheidungen im Berliner Betrieb anfangs unterschätzt. Es sei nun mal eine andere Verantwortung, eine milliardenschwere Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen als Umgehungsstraßen zu eröffnen. Merkel nickt bedächtig. Der Harmonietermin mit Rösler hat ihr gefallen.

Aber dann ist da doch noch eine Frage, bei der Merkel ins Schlingern gerät. Ob es da nicht noch irgendeine Sache gäbe, die sie über Rösler erfahren wolle: "Ich weiß genug, was für unsere Zusammenarbeit notwendig ist", sagt sie knapp. Regierende müssen ja nicht gleich Freunde sein.