Anders Behring Breivik rief im Internet zu Anschlägen in Deutschland auf. Norwegens Geheimdienst erhielt bereits im März erste Hinweise auf ihn.

Hamburg. Noch immer suchen Polizisten in Norwegen nach Toten, noch immer weinen Menschen an den Kerzen, die in Oslo und anderen Städten im Gedenken an die Opfer aufgestellt worden sind. Doch inzwischen beschäftigt das Doppel-Attentat auch deutsche Behörden. Denn der Attentäter, der 32-jährige Anders Behring Breivik, hat in einem Internet-Manifest zu Terrorakten in Deutschland aufgerufen. Mehrere Ziele, die er benennt, befinden sich in Norddeutschland.

Breivik hatte am Tag des Anschlags eine rund 1500 Seiten starke Hassschrift mit dem Titel "2083 - A European Declaration of Independence" ("Eine europäische Unabhängigkeitserklärung") ins Netz gestellt. Unter der Überschrift "Sabotage-Operationen" ist auch von der "deutschen Öl- und Gasproduktion" die Rede. Breivik listet zahlreiche Raffinerien auf, darunter Wilhelmshaven, das Erdölwerk Heide, die Shell-Raffinerie in Harburg sowie die Tamoil-Raffinerie in Hamburg. In einem Zwischenfazit schreibt der 32-jährige Norweger, Sabotage-Akte seien nur in solchen Ländern nützlich, in denen es keine Hoffnung mehr auf einen "demokratischen" Gesinnungswandel gebe. Dazu zähle auch Deutschland.

Nach Informationen des "Tagespiegels" hat Breivik das Pamphlet kurz vor den Anschlägen gezielt an mehrere Hundert E-Mail-Adressen von Rechtsextremisten in Europa und den USA geschickt - darunter auch an die NPD-Zentrale in Berlin sowie an Adressaten der Partei in Erfurt, Aschaffenburg und Unna. Trotz des Sabotage-Aufrufs sehen Sicherheitsexperten keinen Anlass für eine erhöhte Alarmbereitschaft. Frank Reschreiter, Sprecher des Hamburger Innensenators Michael Neumann, sagte dem Abendblatt: "Wir werden mit den beiden Hamburger Unternehmen, die in dem Schriftstück des Herrn Breivik erwähnt sind, Kontakt aufnehmen und im Dialog beschließen, was zu tun ist." Man stimme sich ab, sei aber nicht in Alarmstimmung, so der Behördensprecher. Reschreiter dementierte Berichte, denen zufolge Breivik möglicherweise selbst Verbindungen zur Hamburger Neonazi-Szene habe.

Das sieht auch der Hamburger Verfassungsschutz so: "Es sind keine Kontakte ins Umfeld von Anders Behring Breivik erkennbar", sagte der Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Manfred Murck, gestern. Bezüge des Täters in die Hansestadt seien routinemäßig überprüft worden. Wie auch das BKA und das Bundesamt für den Verfassungsschutz sei man dabei aber auf Informationen aus Norwegen angewiesen. Wie gestern herauskam, war der norwegische Geheimdienst PST bereits im März auf Breivik aufmerksam geworden. Er habe bei einem polnischen Händler für Chemikalien eine Summe von 120 Kronen (15 Euro) eingezahlt, sei deshalb auf einer Liste mit 50 bis 60 Namen aufgetaucht. Das bestätigte Geheimdienstchefin Janne Kristiansen im TV-Sender NRK. Dies sei aber nicht ausreichend für eine aktive Überwachung gewesen. Zuvor hatten bereits die polnischen Sicherheitsbehörden mitgeteilt, dass Breivik Chemikalien zum Bau von Bomben über das Internet unter anderem bei einer polnischen Firma in Breslau bestellt habe. Es habe sich aber um legale Substanzen gehandelt.

In der norddeutschen rechtsextremen Szene gebe es laut Murck auch einzelne bekannte Verbindungen nach Skandinavien. Als Beispiele nannte er die Teilnahme an früheren Rudolf-Heß-Gedenkmärschen im dänischen Roskilde. Die Szene der Hamburger Rechtsradikalen aber weise wenige Bezüge nach Skandinavien auf. Verfassungsschutzchef Murck: "Den meisten reicht es, hier der Platzhirsch zu sein." Internationale Treffen gab es in der Vergangenheit demnach vor allem bei Mitgliedern der rechtsradikalen "Blood and Honour"-Bewegung. Der Fokus habe hierbei auf Konzertbesuchen gelegen, weniger in der Ausarbeitung einer ideologischen oder politischen Linie.

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird in Breiviks Manifest erwähnt. Darin kritisiert er den EU-Verfassungsvertrag und den angeblich seitdem zunehmenden Einfluss des Islam in Europa. Über die deutsche Regierungschefin schrieb der Attentäter: "Ihre Unterstützung für die schreckliche EU-Verfassung sollte genug sein, um sie als mögliche Führerin einer Entarabisierung Europas zu diskreditieren."

Der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans wollte zu der Erwähnung Merkels keine Stellung nehmen. Die Behörden arbeiteten grundsätzlich immer an einem höchsten Sicherheitsniveau in Deutschland, "übrigens für jedermann, nicht nur für namentlich Bekannte", sagte der Sprecher. Insgesamt ist auch die Bundesregierung inzwischen überzeugt, dass das Massaker keine Verbindungen nach Deutschland erkennen lässt.

Der Rechtsextremismus-Experte Patrick Gensing beobachtet als Betreiber des NPD-Blogs seit Jahren rechte Strömungen im Internet. Aufrufe zu Gewalt auch gegen deutsche Politiker seien im Netz oft zu finden, ohne dass Sicherheitsbehörden Ambitionen zu Ermittlungen zeigen würden. Laut Gensing ist Breivik aber trotz seiner fremdenfeindlichen Schriften kein Neonazi, sondern den Rechtspopulisten zuzuordnen. Diese eint die Angst vor einer Islamisierung, ein moralisches Überlegenheitsgefühl, ein strammer Nationalismus und eine Neigung zu Verschwörungstheorien. Direkte Gewalt lehnen die meisten ab. In rechten Polit-Blogs gebe es aber die Ansicht, dass man sich gegen vermeintliche Überfremdung verteidigen dürfe, sagte Gensing. "Daraus lässt sich schnell ableiten, dass man sich wehren darf."