Der SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht auf der Bühne der Hamburger Kammerspiele über die Kanzlerkandidatur-Frage, die Kirche und den Papst.

Hamburg. Eine Geschichte will Sigmar Gabriel unbedingt erzählen: Jeden Freitag schicke ihn seine Freundin Anke zum Wochenend-Einkauf. Einmal, sagt Gabriel, es muss schon kurz vor 22 Uhr gewesen sein, fragt er die Frau an der Fleischtheke, ob sie denn die späten Öffnungszeiten nicht total anstrenge. Im Gegenteil, antwortete die Frau, sie sei froh über jede Arbeitsstunde. Gabriel wundert sich: "Warum arbeiten Sie nicht Vollzeit?" Das Lachen der Frau an der Fleischtheke habe man bis vorne an der Kasse gehört, erzählt Gabriel und schließt seine Geschichte.

Der Chef der SPD erreicht auf der Bühne der Hamburger Kammerspiele allmählich Betriebstemperatur. Er rutscht im Sessel nach vorne, hebt den Zeigefinger. "Es kann doch nicht sein, dass diese Frau ihr Gehalt mit Hartz IV aufstocken muss, um ihre Tochter zu ernähren." Das sei nicht der Wert der Arbeit, für den die SPD stehe. Als Gabriel gestern zur Matinee der "Zeit" kommt, redet er vor allem über die Wertschätzung der Arbeit. Sie sei Kern der Sozialdemokratie. "Die SPD muss die Fleißigen der Gesellschaft wieder erreichen."

Die Diskussion auf der Bühne der Kammerspiele ist eine Standortbestimmung der SPD, die ihren Weg zwischen aufstrebenden Grünen und einer schwarz-gelben Koalition im Umfrage-Keller sucht. Es geht dabei auch um Parteireformen und Politikverdrossenheit. Akut muss sich Gabriel mit zwei "K-Fragen" in seiner Partei auseinandersetzen: Wie hält es die SPD mit der Kirche? Und wie mit der Kanzlerkandidatur?

Der Abgeordnete Rolf Schwanitz hatte in einem Papier zum Boykott der Papstrede im Bundestag aufgerufen. Dem Oberhaupt der katholischen Kirche, Benedikt XVI., wirft er "Missionierung" und eine Mitschuld an der Unterdrückung von Millionen Menschen vor. Die für September geplante Rede sei mit dem "Grundsatz der religiösen Neutralität des Staates unvereinbar", zitiert die "Rheinische Post" aus dem Papier. Gabriel kritisiert den geplanten Boykott im Gespräch mit dem Abendblatt nach der Matinee scharf. "Ich kann diese Kritik nicht verstehen. Wer sich selbst als aufgeklärt empfindet, sollte eigentlich neugierig auf die Meinung anderer sein." Man müsse nicht alle Überzeugungen des Papstes teilen, aber auf die Auseinandersetzung damit sollte man sich in jedem Fall freuen. "Ich jedenfalls tue das und bin als SPD-Politiker - wie fast alle anderen - gespannt auf die Antworten des Papstes zu den Herausforderungen unserer Zeit." Als Lutheraner hoffe er auf ein "deutliches und positives Signal an die Ökumene".

Bei der zweiten K-Frage zum Kanzlerkandidaten der SPD gibt Gabriel auf der Bühne der Kammerspiele eine schnelle Antwort. Wer antreten könnte - er selbst, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier oder Ex-Finanzminister Peer Steinbrück -, ließ er offen. "Mir ist der Kanzlerkandidat egal. Ich will, dass die SPD den Kanzler stellt." "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe lässt dennoch abstimmen. Wer denn für Helmut Schmidt als Kanzlerkandidat sei, fragt er neckisch ins Publikum. Gabriel hebt die Hand. Der Saal lacht.