Bundeskanzlerin Merkel nimmt ältere Meiler bis Mitte Juni vom Netz. Opposition spricht von Täuschungsmanöver

Berlin. Mit Misstrauen hat die Opposition auf die Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagiert, sieben vor 1980 gebaute Kernkraftwerke vorübergehend abzuschalten und auf mögliche Sicherheitsmängel zu überprüfen.

Grünen-Chef Özdemir sagte dem Hamburger Abendblatt, die schwarz-gelbe Koalition versuche mit dem Moratorium, für drei Monate eine Kehrtwende in der Energiepolitik vorzutäuschen. Ältere Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen sei richtig, reiche aber nicht. "Der Betrieb der sieben ältesten AKW darf nicht nur ausgesetzt werden, diese müssen jetzt dauerhaft stillgelegt werden", forderte der Grünen-Politiker. Das gelte auch für den Pannenmeiler Krümmel. "Nötig ist die Rücknahme des Ausstiegs aus dem Atomausstieg und eine Erhöhung der Sicherheitsanforderungen für AKW in Deutschland." Laut Özdemir gesteht die Bundesregierung mit der geplanten Stilllegung ein Scheitern ihres Energiekonzeptes ein, da sie bislang immer behauptet habe, ohne die Altmeiler gingen in Deutschland die Lichter aus.

Merkel erklärte gestern in Berlin nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder mit Atomkraftwerken, die übrigen, jüngeren deutschen Kraftwerke dürfen weiter in Betrieb bleiben, sollen aber ebenfalls kontrolliert werden. Zudem wird die geplante Laufzeitverlängerung aller AKW für drei Monate ausgesetzt.

Vorübergehend vom Netz gehen nun die Kraftwerke Philippsburg 1 in Baden-Württemberg, Isar 1 in Bayern, Biblis A und B in Hessen sowie Unterweser in Niedersachsen und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Alle Meiler sind vor 1980 fertiggestellt worden. Darüber hinaus soll das schleswig-holsteinische Kraftwerk Krümmel zunächst abgeschaltet bleiben. Es war zwar erst 1983 gebaut worden, ist aber nach mehreren Pannen heruntergefahren, ebenso wie Brunsbüttel.

Auch Neckarwestheim 1 sollte eigentlich nur zeitweise vom Netz genommen werden. Gestern teilte der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus jedoch mit, dass der Meiler nun endgültig abgeschaltet werde. Der Chef des Betreiberkonzerns EnBW, Hans-Peter Villis, begründete dies Mappus zufolge mit Anforderungen an Sicherheitsnachrüstungen des Stuttgarter Umweltministeriums. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei aus Sicht der EnBW nicht mehr möglich. Die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) kündigte unterdessen an, dass auch Biblis A nach der anstehenden Sicherheitsüberprüfungen "wahrscheinlich" nicht wieder ans Netz gehe.

Merkel begründete ihre Entscheidung mit den Explosionen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima 1, die"eine Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt" seien. Der Austritt von Radioaktivität infolge des Erdbebens und des Tsunamis habe gezeigt, dass die "Auslegung des Kraftwerks auf die Naturgewalten nicht ausreichend war". Das Moratorium soll laut Merkel dazu genutzt werden, um die Energiewende zu beschleunigen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) unterstützte den Beschluss. "Das Moratorium muss nicht nur die Zeit zum Nachdenken, sondern auch zum Verhandeln sein", sagte er. Es müsse nun über Sicherheitsmodalitäten gesprochen werden, zudem müsse man bei einer stärkeren Nutzung regenerativer Energie dringend die Stromnetze ausbauen. Der Energiekonzern Vattenfall, der Krümmel und Brunsbüttel zusammen mit E.on betreibt, bewertete die geplanten Überprüfungen positiv: "Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, ganz neu über die Sicherheitsaspekte nachzudenken", sagte Unternehmenssprecher Stefan Müller dem Abendblatt. Japan habe gezeigt, dass Dinge passieren könnten, mit deren Eintreten niemand gerechnet habe. Müller sagte, die "neue Ausgangslage" werde möglicherweise Auswirkungen auf die Verhandlungen mit E.on haben. Vattenfall will die operative Führung von Krümmel und Brunsbüttel an den Düsseldorfer Konzern abtreten.

Kritisch äußerte sich Michael Fuchs, Unionsfraktionsvize im Bundestag. Fuchs sagte dem Abendblatt: "Wir haben im Koalitionsvertrag und im Energiekonzept festgelegt, dass Kernenergie eine Brückentechnologie ist. Klar ist, dass wir auf sie nicht verzichten können, bevor Alternativen verfügbar sind." Auch Stromimporte aus Nachbarländern könnten keine Alternative sein. Zwar müsse man die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke und die schnelle Einführung erneuerbarer Energien prüfen. Aber da Deutschland ein Industrieland sei, "müssen die Prinzipien einer bezahlbaren, zuverlässigen und sauberen Stromversorgung für Unternehmen und Verbraucher weiter gelten", verlangte Fuchs.