Europa muss gemeinsam die Energiewende wagen.

Welch Ungleichzeitigkeit der Ereignisse: Die entsetzliche Zuspitzung der japanischen Multikrise aus Erdbeben, Tsunami und Kernschmelzen sprengt alle Grenzen. Von diesem Desaster zeigt die Welt sich nicht nur betroffen - sie ist es auch. Radioaktive Strahlung und die Erschütterungen der Wirtschaft wirken global. In Deutschland tobt derweil eine arg nationale Debatte über die Atomkraft. Man streitet aufgeregt bis hysterisch über Krümmel, Isar 1 und Neckarwestheim und verliert den Rest der Welt aus dem Blick. Die schwarz-gelbe Koalition vollzieht eine radikale Kehrtwende und will jetzt statt Laufzeitverlängerungen den Einstieg in den Ausstieg. Mit Überraschung und Befremden verfolgen viele im Ausland den vermeintlichen deutschen Sonderweg. In Frankreich, Polen, Schweden und erst recht in China, das gleich 40 neue Reaktoren hochziehen will, hält man wenig beeindruckt an der Nutzung der Krisentechnik fest.

Fukushima lehrt die Gefahren des Atoms, doch will die Menschheit lernen?

Immerhin beginnt Europa, diese Frage zu beantworten. EU-Kommissar Günther Oettinger hat gehandelt, die Energieminister zusammengetrommelt und will sämtliche Meiler einem echten Stresstest unterziehen. Doch leider bleibt Atomsicherheit in Europa eine Frage der Mitgliedstaaten. Es mutet absurd an, dass die EU-Staaten erst am vergangenen Wochenende den Einstieg in eine milliardenschwere Transferunion beschlossen haben und ihre Märkte weiter angleichen wollen, in der Atompolitik aber auf Souveränität und Kleinstaaterei pochen. Was hilft das Abschalten von Biblis, wenn 20 Kilometer hinter der deutschen Grenze die Pannenreaktoren von Cattenom stehen oder das veraltete Kernkraftwerk Mochovce in der Slowakei weiter betrieben wird?

Allerdings sollten die Deutschen in Brüssel nicht als Lehrmeister auftreten. Frankreich erzeugt 80 Prozent seines Stroms aus Kernkraft, in Schweden sind es fast 50 Prozent. Der Ausstieg ist keine Sache von Monaten, sondern von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Und der Ausstieg verheißt nicht das Paradies - sondern Kosten, Mühen, Widerstände. Weder darf er zur Entindustrialisierung des Kontinentes führen, noch die Klimaziele torpedieren. Und doch ist jetzt der Zeitpunkt, eine Art Apollo-Projekt für neue Energien auszurufen: Statt 43 Prozent der EU-Mittel in die Landwirtschaft zu versenken, muss Europa in die Zukunftswirtschaft investieren - in Wind- und Wasserkraft, in Solarenergie und -thermie, in Energieeinsparung und -speicherung. So könnte aus der Katastrophe eine Chance für Europa erwachsen.