Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Carstensen will die Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel stilllegen. Brokdorf soll weiterlaufen dürfen

Kiel. Nach der Atomkatastrophe in Japan möchte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) zwei der drei Meiler in der Metropolregion Hamburg stilllegen. Vattenfall solle darauf verzichten, die Kraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel wieder anzufahren, sagte Carstensen gestern. Beide Reaktoren sind seit 2007 fast durchgängig vom Netz. Carstensen schwenkte damit auf die Linie der mitregierenden FDP ein, die im Gegenzug den Reaktor Brokdorf länger laufen lassen will.

"Die Lage hat sich durch die Ereignisse in Japan geändert", sagte Vattenfall-Sprecherin Barbara Meyer-Bukow. In den Verhandlungen mit dem Reaktor-Miteigner E.on werde auch geprüft, ob ein Weiterbetrieb von Brunsbüttel und Krümmel wirtschaftlich sinnvoll sei. Im Kieler Landeshaus wird vermutet, dass Brunsbüttel stillgelegt wird, Krümmel eine neue Chance erhält und Brokdorf länger als bisher erlaubt Strom produzieren darf. Fakt ist, dass sich die drei Meiler in der Metropolregion nach Baujahr, Betriebsform und Standards stark unterscheiden.

Der Meiler Brunsbüttel (806 MW) ähnelt den japanischen Fukushima-Blöcken und ist einer der ältesten unter den Atomkraftwerken in Deutschland. Der Reaktor der Baureihe 69 ging 1977 in Betrieb und gehört zu den letzten sechs Siedewasserreaktoren (SWS) bundesweit. Die SWS haben lediglich einen Primärkreislauf. Bei ihm wird der Wasserdampf aus dem Reaktorkern direkt zu den Turbinen geleitet und nach der Kühlung verflüssigt zurückgeführt. Die Schwachstelle: Die Turbinen liegen außerhalb des Reaktordruckbehälters, müssen gesondert abgeschirmt werden. Brunsbüttel gilt nach mehreren Störfällen als "Pannenreaktor" mit Baumängeln. Der Meiler ist gegen Flugzeugabstürze kaum geschützt, hat eine schwache Notstromversorgung und wird gerade nachgerüstet, um Erdbeben der Stärke sechs standhalten zu können. Die Restlaufzeit des Meilers beträgt 22 Monate, mit Laufzeitverlängerung knapp zehn Jahre.

Das Kraftwerk Krümmel (1401 MW) ist der größte Siedewasserreaktor der Welt. Er gehört wie Brunsbüttel zur SWS-Typreihe 69, wurde aber schon während des Baus Ende der 70er-Jahre nachgerüstet. Das Kraftwerk, das 1984 in Betrieb ging, soll Erdbeben bis Stärke sechs aushalten, ist auf den Absturz von Kampfflugzeugen ausgelegt und hat eine modernere Notstromversorgung. Bei einem Netzausfall stehen sechs Notstromdiesel (Brunsbüttel fünf) bereit, davon drei in einem Bunker. In Brunsbüttel sind zwei Diesel besonders geschützt. Die Notstromaggregate sollen bei einem Ausfall des Stromnetzes und der Reaktoreigenversorgung vor allem die Kühlpumpen am Laufen halten, die in Krümmel bis zu 3,5 Millionen Liter Wasser je Minute (Brunsbüttel gut zwei Millionen Liter) befördern. Die Pumpen können zudem einige Stunden über Batterien betrieben werden. Spätestens dann soll der Strom aus Notfallleitungen kommen, in Krümmel aus dem nahen Pumpspeicherwerk, in Brunsbüttel aus dem benachbarten Gaskraftwerk. Schlagzeilen machte Krümmel wegen der Häufung von Leukämiefällen in seiner Umgebung. Beweise, dass der Meiler für den Blutkrebs verantwortlich ist, gibt es bisher nicht. Krümmel hat eine Restlaufzeit von acht Jahren, könnte mit Laufzeitverlängerung noch 22 Jahre Strom liefern.

Der Meiler Brokdorf (1480 MW) hat den leistungsstärksten Reaktorblock (1480 MW) in Deutschland. In Betrieb ging der Druckwasserreaktor (DWR) 1986. Der DWR hat neben dem Primär- einen Sekundärkreislauf. Das Wasser im Reaktorkern wird nur erwärmt, gibt seine Energie an einen Wärmetauscher ab, der im zweiten Kreislauf die Turbinen versorgt. Radioaktive Stoffe bleiben so im Reaktordruckbehälter. Brokdorf, dessen Bau Massendemonstrationen ausgelöst hatte, gilt heute auch dank seiner acht Notstromdiesel als einer der sichersten Meiler in Deutschland. Die Restlaufzeit beträgt wie bei Krümmel acht Jahre, mit Verlängerung 22 Jahre. Bei einer Übertragung aller Reststrommengen von Brunsbüttel und Krümmel würde Brokdorf allerdings zum Dauerbrenner. Der Meiler dürfte noch etwa 49 Jahre laufen, also bis 2060.