Der Opposition ist das Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atommeiler nicht genug. Demonstrationen in 320 deutschen Städten.

Berlin. Die Atomkraft-Gegner in Deutschland trauen dem Frieden nicht. Auch nach der Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die erst im Herbst beschlossene Verlängerung der Atomlaufzeiten vorerst auszusetzen, machten Opposition und Umweltinitiativen weiter Druck auf die Bundesregierung.

"Wir wollen kein Moratorium. Wir wollen, dass die Kernkraftwerke endlich abgeschaltet werden", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Die Aufhebung der Laufzeitverlängerung bezeichnete er als leicht durchschaubaren Trick. "Da geht es nur darum, über die Landtagswahlen hinwegzukommen", so Gabriel. Dies werde man der schwarz-gelben Regierung aber nicht durchgehen lassen. Am kommenden Sonntag wird ein neuer Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt, am darauf folgenden Wochenende in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Die Bundesregierung hatte gestern angekündigt, die deutschen Atommeiler nach der Katastrophe in Japan gründlich zu prüfen und die geplante Laufzeitverlängerung für einen Zeitraum von drei Monaten zu stoppen. Die ältesten deutschen Meiler werden demnach noch in den nächsten Wochen vom Netz gehen. Wie es nach den drei Monaten weitergeht, ließ Merkel offen.

Die Sozialdemokraten forderten von der Bundesregierung erneut eine Rückkehr zu dem unter Rot-Grün vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie. Gabriel kündigte an, die SPD werde das entsprechende Gesetz im Bundestag erneut zur namentlichen Abstimmung stellen. Das gleiche gelte für das von ihm und seinem Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) als Bundesumweltminister erarbeitete atomtechnische Regelwerk. In einer dritten namentlichen Abstimmung will die SPD zudem die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke fordern, die nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert seien. Dann habe die Regierungskoalition dreimal die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit ihrer Beteuerungen in Sachen atomarer Sicherheit im Bundestag unter Beweis zu stellen, sagte Gabriel.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kündigte an, dass sich die Hansestadt an der bereits laufenden Klage gegen die Laufzeitverlängerung beteiligt, die einige SPD-regierte Länder vor einigen Wochen eingebracht haben. "Es war ein Fehler, die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern", sagte Scholz. Die Hansestadt sei in der Diskussion um die Atomkraft besonders berührt: "Mit den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel liegen zwei der ältesten Kraftwerke Deutschlands in unmittelbarer Nähe zur Stadt", sagte er.

Auch die Grünen wollen das Thema im Parlament zur Debatte stellen und bereits am Donnerstag einen Antrag zur sofortigen Stilllegung der sieben ältesten Atommeiler in Deutschland einbringen. Die sieben ältesten AKWs sind Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1. Auch das Kernkraftwerk Krümmel müsste wegen der häufigen Störfälle nach dem Willen der Grünen sofort vom Netz. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke schließt sich den Forderungen an. "Die sieben alten Atomkraftwerke in Deutschland müssen sofort abgeschaltet werden", sagte er dem Abendblatt. Das Sicherheitsrisiko sei nach den Vorkommnissen in Japan unkalkulierbar und alte Sicherheitsversprechungen über den Haufen geworfen worden. Deshalb gehöre auch die Laufzeitverlängerung auf den Prüfstand und sollte "vollständig zurückgenommen werden", forderte Klimke.

Linkspartei-Chef Klaus Ernst nannte den Anti-Atom-Protest der rot-grünen Opposition "scheinheilig". Dem Abendblatt sagte er: "SPD und Grüne hängen über die Kommunen im Atomgeschäft mit drin." So sei München über die Stadtwerke zu einem Viertel an Isar II beteiligt, Bielefeld etwa am Meiler Grohnde. "Dort regieren überall SPD und Grüne. Der Anti-Atom-Protest ist scheinheilig, wenn das so bleibt", sagte Ernst. Seine Forderung: "Die Kommunen müssen aus dem Atomgeschäft aussteigen und stattdessen in erneuerbare Energien investieren. SPD und Grüne müssen sich ehrlich machen."

In ganz Deutschland haben sich gestern an mehr als 320 Orten Atomkraftgegner und Umweltinitiativen zu spontanen Protesten zusammengefunden. Auch vor dem Bundeskanzleramt in Berlin versammelten sich mehrere Hundert Menschen. Am Sonnabend, den 26. März soll es in mehreren Großstädten, darunter Berlin, Hamburg und Köln, Großdemonstrationen geben.