Älteste deutsche Kernkraftwerke sollen abgeschaltet werden. Laufzeitverlängerung für drei Monate ausgesetzt. Dramatische Lage in Japan: Kernschmelze in drei Reaktoren?

Berlin/Tokio. Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe in Japan hat die Bundesregierung eine überraschende Wende in ihrer Energiepolitik vollzogen. Kurz nach einer zweiten Wasserstoff-Explosion im Kernkraftwerk Fukushima, wo jetzt in drei Reaktoren Kernschmelzen drohen, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern einen vorläufigen Stopp der Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke. Er soll drei Monate dauern. Das Moratorium bedeute, dass die ältesten deutschen Atommeiler vom Netz genommen werden müssen, erläuterte die Regierungschefin. "Alles gehört auf den Prüfstand."

Nach Merkels Erklärung stiegen die Aktien von Ökoenergie-Unternehmen um bis zu 45 Prozent. Die großen AKW-Betreiber wie RWE und E.on verzeichneten dagegen starke Einbrüche.

Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg steht jetzt als Erstes das umstrittene Kernkraftwerk Neckarwestheim I vor dem Aus. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, er erwarte eine schnelle Abschaltung. Das Moratorium sei mehr als eine bloße "Vertagung". Was einmal vom Netz genommen werde, werde auch nicht wieder angefahren. Erst am Wochenende hatten Zehntausende Demonstranten die sofortige Stilllegung Neckarwestheims verlangt, weil es gegen Störfälle nicht ausreichend gesichert sei. Auch das umstrittene Kernkraftwerk Biblis A in Hessen, dessen Abschaltung seit Jahren gefordert wird, dürfte schon im Sommer ausgemustert werden. In Bayern steht zudem der Reaktor Isar I vor seinem Ende. Eine Abschaltung sei die "richtige Konsequenz aus den apokalyptischen Ereignissen in Japan", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). SPD und Grüne warfen Schwarz-Gelb dagegen vor, allein aus wahltaktischen Erwägungen umgeschwenkt zu sein. Mit unklaren Versprechungen wolle sich Merkel über die Landtagswahlen retten.

Unklar ist, ob auch die Pannen-Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel endgültig vom Netz genommen werden. Der für die Atomaufsicht zuständige Kieler Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) forderte, die Laufzeitverlängerung für die Kraftwerke zurückzunehmen; er könne aber nicht für die gesamte Regierung sprechen. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) wollte sich nicht äußern.

Unterdessen versuchen japanische Techniker in einem dramatischen Wettlauf mit der Zeit, den GAU in Fukushima zu verhindern. Bei der neuen Wasserstoff-Explosion im Reaktorblock 3 wurden sieben Arbeiter verletzt. Die Radioaktivität im Umkreis stieg deutlich an. In allen drei betroffenen Blöcken droht eine Kernschmelze, im Reaktor 3 könnte sie bereits begonnen haben, hieß es. Dort ragten die vier Meter langen Brennstäbe aus dem Kühlwasser und erhitzten sich extrem.

Kurz nach Mitternacht mitteleuropäischer Zeit spitzte sich die Lage dramatisch zu: Auch im Reaktor 2 der Atomanlage Fukushima 1 gab es eine Explosion, bestätigte die japanische Atomaufsicht. Regierungssprecher Yukio Edano sagte, ein Teil des inneren Druckbehälters scheine beschädigt zu sein. Damit könnten große Mengen Radioaktivität entweichen.