Zum Start der Hartz-IV-Beratungen kommt massive Kritik. Am Freitag hatte der Bundesrat die Reform der schwarz-gelben Bundesregierung gekippt.

Berlin. Zum Auftakt der Beratungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Hartz-IV-Reform haben die großen deutschen Sozialverbände den Gesetzesentwurf massiv kritisiert. Die Spitzen von Paritätischem Wohlfahrtsverband, dem Sozialverband VdK und der Bildungsgewerkschaft GEW fordern vom Vermittlungsausschuss weitgehende Änderungen an der Vorlage von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).

"Was Ministerin von der Leyen als Gesetz vorgelegt hat, ist erneut verfassungswidrig", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, dem Abendblatt. Die Regelsätze seien weder sachgerecht noch nachvollziehbar ermittelt worden. "Der Vermittlungsausschuss darf nicht nur Ergebnisse liefern, er muss sie auch in der Sache nachvollziehbar begründen", forderte Schneider. "Rein politische Kompromisse, wie sonst üblich, reichen in diesem Fall nicht."

Auch die Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, forderte den Vermittlungsausschuss zu Korrekturen auf. "Bei der Berechnung der Beitragssätze muss nachgebessert werden", forderte sie im Abendblatt. Während bei der letzten Berechnung noch die unteren 20 Prozent der Einkommen als Grundlage dienten, seien es jetzt die unteren 15 Prozent. "Warum das so ist, ist weder transparent noch nachvollziehbar kommuniziert worden. Damit kommt von der Leyen der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nicht nach", stellte Mascher klar. Der VdK hat mehr als 1,5 Millionen Mitglieder. Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist Dachverband von mehr als 10 000 eigenständigen Organisationen und Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich.

Am Freitag hatte der Bundesrat die Hartz-IV-Reform der schwarz-gelben Bundesregierung gekippt. Der Opposition gehen die Änderungen nicht weit genug, zudem bemängeln sie eine unzureichende Transparenz der Berechnung der Regelsätze. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar die Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Sätze festgestellt. Bis zum 1. Januar muss demnach eigentlich ein neues Gesetz in Kraft treten - durch die Blockade des Bundesrats wird das jedoch nicht möglich sein. Derzeit liegt von der Leyens Vorlage im Vermittlungsausschuss. Dort soll eine Arbeitsgruppe einen Kompromiss ausloten. Gestern tagte sie zum ersten Mal.

Neben einer Erhöhung der monatlichen Zahlungen von 359 auf 364 Euro sieht der bisherige Entwurf auch ein Bildungspaket vor. Hiermit soll Kindern mithilfe eines Gutscheinsystems die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert werden. Die Opposition lehnt das ab. Ebenso die Sozialverbände. VdK-Präsidentin Mascher forderte, dass sich der Vermittlungsausschuss insbesondere auch um eine Änderung des Bildungspakets bemühen solle. "Der Gesetzesentwurf der Arbeitsministerin bedeutet einen unglaublichen bürokratischen Aufwand", kritisierte sie. Mehr als tausend neue Stellen müssten bei der Bundesagentur für Arbeit geschaffen werden. Erhebliche Mittel gingen in neue Stellen statt direkt zu den Betreuungseinrichtungen. Es sei "absolut unverständlich", warum diese nicht direkt das entsprechende Geld bekämen. "Der Umweg über ein Jobcenter ist überflüssig und nicht nachvollziehbar." Schneider sagte, die Berechnungen des Bildungspakets seien "ein statistischer Schrotthaufen". Vieles sei immer noch beliebig gesetzt, ohne valide Zahlen. Beispielsweise die acht Euro pro Monat für Schulmaterial im Schulbasispaket.

Ulrich Thöne, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW nannte die Maßnahmen im Abendblatt einen "Tropfen auf den heißen Stein." Man müsse an den beschlossenen Bildungsausgaben von sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr festhalten. "Mit dem Bildungspaket von Ministerin von der Leyen verabschieden wir uns von diesen Vorhaben", kritisierte er.

Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn, der für seine Partei in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses sitzt, stellt sich für die kommenden Treffen auf "harte und schwierige Verhandlungen" ein, wie er dem Abendblatt kurz nach dem Auftakt der Beratungen am gestrigen Abend sagte. "Die Regelsatzhöhe muss verfassungskonform gemacht werden, und wir brauchen ein Bildungspaket, das wirklich bei den Kindern ankommt und nicht in Bürokratie ersäuft."