Beim Bundesparteitag folgt die Basis treu ihrer Kanzlerin Angela Merkel. Neue Nummer zwei in der Partei ist Röttgen, nicht von der Leyen.

Karlsruhe. Es hätte eine Abrechnung geben können, das wusste Angela Merkel. Eine Abrechnung für ein durchwachsenes erstes Regierungsjahr, für Monate, die für Koalitionsstreit geopfert wurden, für Wochen, in denen sich die Basis fragte, warum die Parteivorsitzende nicht durchgriff. Es kam anders, und doch ließen die rund 1000 Delegierten ihre Parteichefin spüren, wie sie ihre Arbeit im Moment finden: gut, aber nicht berauschend. Vor zwei Jahren hatte Merkel noch ein besseres Ergebnis erhalten. Die CDU merkte in Karlsruhe aber auch, dass es der Kanzlerin diesmal ganz besonders um die Seele der Partei ging. Während Merkel sprach, sagte ein Mitglied verblüfft, Merkel sei zum ersten Mal wie eine CDU-Vorsitzende.

Schon in den Wochen zuvor, einer Phase, die Merkel selbst als Herbst der Entscheidungen bezeichnet hatte, hatten Parteifreunde eine Wandlung der Kanzlerin beobachtet. Die Unentschlossene begann, sich festzulegen: In der Energiepolitik sagte sie Ja zu deutlichen Laufzeitverlängerungen der deutschen Atomkraftwerke, in der Präimplantationsdiagnostik (PID) verteidigte sie ihr klares Nein auch gegen die Argumente von Familienministerin Kristina Schröder. Sie sagte sogar überraschend früh Ja zum umstrittenen Bauprojekt Stuttgart 21.

Beim Parteitag machte Merkel so weiter: So drastisch wie nie sagte sie Nein zu schwarz-grünen Koalitionen im Bund. Man sollte sich trotz mancher Enttäuschung bei der derzeitigen Regierung nichts vormachen, warnte sie. Die Alternative sei weder eine schwarz-grüne Koalition noch eine erneute Große Koalition. Auch Jamaika schloss Merkel aus. "Das sind Illusionen, das sind Hirngespinste", rief sie aus - zur Freude des Plenums.

Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus, der als Deutschlands einziger Regierungschef allein mit den Grünen regiert, stützte die Absage der Kanzlerin: Frau Merkel habe recht, auf Bundesebene gebe es derzeit keine Alternative zu Schwarz-Gelb, sagte er. In den Ländern und Kommunen sei die Situation allerdings eine andere, "und dadurch eröffnen sich natürlich auch andere Möglichkeiten".

Doch an "andere Möglichkeiten" will Merkel sich nicht mehr heranwagen. So kannten manche im Saal ihre Parteichefin noch gar nicht. Das deutliche Nein in Richtung der Grünen empfanden etliche Delegierte als Schlüsselerlebnis des Parteitags. Und den Delegierten gefiel noch eine andere Ansage: Merkels Ja zu Wolfgang Schäuble. Sie dankte dem umstrittenen Finanzminister ausdrücklich für seine Arbeit und erinnerte an sein schwieriges, mit gesundheitlichen Problemen geprägtes Jahr. Bei den Präsidiumswahlen erhielt Schäuble später das zweitbeste Ergebnis. Ein Initiativantrag für schnellere Steuersenkungen, wie er am Wochenende von CDU-Mittelstandspolitikern angedroht worden war, blieb entsprechend aus. Vielleicht auch deshalb, weil Merkel in Richtung der CDU-Mittelstandsvereinigung klarmachte, dass sie über Steuern noch reden will, aber erst wenn die Konsolidierung des Haushalts fortgeschritten ist. Deren Vorsitzender Josef Schlarmann bedankte sich danach artig für die "Gesprächsbereitschaft".

Waren all das die Signale der Geschlossenheit, die sich die Kanzlerin vom Parteitag erhofft hatte? Manche wenige, die auf dem Podium das Wort ergriffen, wollten nicht so recht mitmachen beim Wohlfühltreffen. "Wir merken, wie uns die Basis wegbröselt", rief ein Delegierter. Ein anderer beschwerte sich, dass die Partei zu schwach für die Atomkraft argumentiere. Das Pech dieser Redner war, dass die Parteichefin gerade da nicht in der Halle war.

Auch wenn sie die Kritik nicht hörte, weiß sie doch: Seit Helmut Kohls Zeiten hat die Partei mehr als fünf Millionen Wähler verloren. Den Willen Merkels, die Partei fest in der Mitte zu verankern, haben ihr viele frühere Stammwähler übel genommen: Für sie ist die Partei nicht mittig, sondern nur noch mittelmäßig. Und Merkels unemotionaler Führungsstil und ihr geräuschloser Verhandlungsstil haben ihr den Dauervorwurf der Beliebigkeit eingebracht. In Karlsruhe kämpfte Merkel genau gegen diese Wirkung an.

Auffallend oft war vor dem Parteitag gefragt worden, wer Merkel nun gefährlich werden könnte, da die mächtige Riege der einst so ambitionierten Stellvertreter und Ministerpräsidenten Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers aus dem Spiel ist. Ginge man allein nach den Wahlergebnissen für die Stellvertreter, dann könnte die neue Nummer zwei Norbert Röttgen heißen. Der mit 45 Jahren jüngste der vier Vizes hatte eine besonders leidenschaftliche und verhältnismäßig lange Bewerbungsrede gehalten. Vor Kurzem erst hatte der Umweltminister den 160 000 Mitglieder starken, mächtigsten Landesverband von Nordrhein-Westfalen hinter sich versammelt.

Die Machtbasis für noch höhere Weihen konnte er sich in Karlsruhe endgültig sichern. Es ist bekannt, dass sich Röttgen gut vorstellen kann, eines Tages Bundeskanzler zu werden. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wird das Amt zugetraut. Dass von der Leyen leicht schlechter abschnitt als Röttgen, überraschte vor allem diejenigen, die die Merkel-Vertraute automatisch als die geborene Nachfolgerin der CDU-Chefin gesehen hatten - und daher als klare Nummer zwei. Die weiteren Stellvertreter, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und Bildungsministerin Annette Schavan, galten hingegen schon vor den Parteiwahlen nicht als Gefahr für Merkels Macht.

Für eine Nachfolgedebatte, so wie sie die CSU führt, ließ Merkels Auftritt keinen Raum. Niemand in der Partei zweifelt daran, dass Merkel 2013 noch einmal antritt. Wen man auch beim Parteitag auf die Machtfrage ansprach: Bis auf Weiteres ist sie geklärt.