Der Regelsatz für Hartz IV soll auf 364 Euro für Erwachsene, für Kinder gar nicht steigen. Die Opposition kritisierte den Beschluss scharf.

Berlin. Um nur fünf Euro soll der Hartz-IV-Regelsatz ab 2011 steigen . Die Koalitionsspitzen von Union und FDP stimmten am Sonntag einem Vorschlag von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) zu, den Regelsatz von 359 auf 364 Euro für Erwachsene zu erhöhen, wie es aus Koalitionskreisen hieß. Rund 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger sind betroffen.Für rund zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Hartz-IV-Familien gibt es nicht mehr Geld. Sie sollen aber von zusätzlichen Bildungsleistungen profitieren.

Opposition und Verbände kritisierten die geplante Erhöhung als zu gering . SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Kanzlerin Angela Merkel vor, sie lasse sich von ihrem Koalitionspartner FDP erpressen. SPD und Linke drohten mit Verfassungsklage. Von der Leyen warnte die Sozialdemokraten, die Neuregelung im Bundesrat zu blockieren. Dort hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit und ist auf die Zustimmung von SPD oder Grünen angewiesen.

Der Regelsatz für Erwachsene von künftig 364 Euro ergebe sich aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVP) des Statistischen Bundesamts, sagten Fachpolitiker der Koalition. Ausgaben für Alkohol und Zigaretten würden künftig nicht mehr zum Existenzminimum gezählt. Hingegen sollen Internetkosten im Regelsatz berücksichtigt werden.

„Hartz IV soll das Existenzminimum sichern“, argumentierte von der Leyen in der „Bild“ -Zeitung (Montagausgabe). „Der Grundbedarf ist unantastbar, aber Genussmittel wie Alkohol und Tabak gehören nicht dazu.“ Wer mehr ausgeben wolle, müsse etwas dafür tun und arbeiten. An die Adresse der SPD sagte die CDU-Politikerin: „Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen eine klare Sprache. Dagegen kann auch die SPD nicht argumentieren.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass die SPD das Bildungspaket mit warmem Mittagessen für bedürftige Kinder, Schulmaterial, Lernförderung und einem Budget etwa für Musik oder den Fußballverein ablehnen werde.

Für Kinder müssten die Hartz-IV-Sätze nach Angaben des FDP-Fraktionsvizes Heinrich Kolb und weiterer Koalitionspolitiker eigentlich sinken. Von der Leyen habe aber einen Vertrauensschutz vorgeschlagen. Die Zahlbeträge sollen somit auf bisheriger Höhe erhalten werden, aber bei künftigen Erhöhungen müssten die verschobenen Senkungen verrechnet werden. Für 14- bis 18-Jährige liegt der Satz bei 287 Euro, für 6- bis 14-Jährige bei 251 Euro, Kinder bis sechs Jahre erhalten 215 Euro.

620 Millionen Euro sollen zudem in Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder aus Hartz-IV-Familien investiert werden. Damit sollen ihnen auch die Teilnahme am gemeinsamen Mittagessen in Schule oder Kindergarten und die Mitgliedschaft in einem Verein ermöglicht werden.

Kritik kam von SPD, Linken und Sozialverbänden. „Merkel lässt sich gerade von Westerwelle dazu erpressen, das Bundesverfassungsgericht zu missachten“, sagte Gabriel in Berlin. Westerwelle habe Anfang des Jahres eine „schamlose Debatte“ über Hartz-IV-Empfänger geführt und könne nun einer deutlichen Erhöhung im Kabinett nicht zustimmen. „Merkel macht dieses schäbige Spiel mit.“

Grünen-Chef Cem Özdemir hat massiven Widerstand gegen die Entscheidung angekündigt. „Die Bundesregierung hat ein unmoralisches Koordinatensystem“, sagte Özdemir dem Abendblatt (Montagausgabe). „Wieder einmal fehlt Angela Merkel in dieser Debatte der soziale Kompass, und wieder muss sie Horst Seehofer und Guido Westerwelle hinterherlaufen." Hinter verschlossenen Türen habe die Koalition ein unwürdiges Spiel getrieben, damit am Ende der politisch gewollte Betrag herauskomme, kritisierte der Parteivorsitzende. „So hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, und so werden wir diese Entscheidung nicht hinnehmen. Diese Rechnung wird genau geprüft, und dann entscheidet der Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat.“

Kinder dürften nicht die Verlierer „dieser Mauschelei“ sein, forderte Özdemir. „Schwarz-Gelb bleibt ihnen nicht nur Geld, sondern auch ein Förderkonzept schuldig.“ Es könne nicht sein, dass bei Schwarz-Gelb populistische Debatten die Entscheidung herbeiführten und den Blick auf eine nüchterne Analyse und den dringend nötigen Ausbau der Infrastruktur verstellten. „Die Bundesregierung sollte endlich für ein flächendeckendes Angebot von Kindergärten und Ganztagsschulen mit kostenlosem Mittagessen für bedürftige Kinder sorgen“, verlangte er.

„Die SPD-geführten Länder werden im Bundesrat keiner verfassungswidrigen Reform zustimmen“, sagte SPD-Parteivize Olaf Scholz dem „Tagesspiegel“. „Wenn die Bundesregierung die Zahlen so lange manipuliert, bis sie auch der FDP passen, bereitet sie einen Verfassungsbruch vor.“

Linken-Chef Klaus Ernst sagte, eine Regelsatzerhöhung um fünf Euro sei mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht zu vereinbaren. „Eine erneute Verfassungsklage ist unausweichlich. Die Opposition sollte dies gemeinsam in Angriff nehmen.“ Das Verfassungsgericht hatte im Februar entschieden, dass die Regelzahlungen neu berechnet werden müssen.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, sprach von einem sozialpolitischen Skandal. Nach der Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Bezieher werde erneut Politik gegen die Armen gemacht.

Der Bundesrat muss den Regelungen noch zustimmen.