Beschlossen: Die Beiträge steigen, für Versicherte wird es deutlich teurer. Experten warnen vor Kopfpauschalen von 80 Euro im Monat. Rösler verteidigt sich.

Berlin/Hamburg. Das Kabinett beschließt die Gesundheitsreform – doch der Streit um die Krankenkassen, die Zusatzbeiträge und die steigenden Kosten für die Bürger wird erbittert weitergeführt. Die gesetzlichen Krankenkassen selbst haben der schwarz-gelben Regierungskoalition vorgeworfen, verkrustete Strukturen im Gesundheitswesen unangetastet zu lassen. „Die Bundesregierung will den Krankenkassenbeitrag für 50 Millionen Kassenmitglieder und deren Arbeitgeber erhöhen, damit die Einnahmen der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser weiter kräftig steigen können“, sagte die Vorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Doris Pfeiffer, der Nachrichtenagentur dpa. „Durch ein engagiertes Sparprogramm hätte man das Ziel der finanziellen Stabilität auch ohne einen solchen Beitragsaufschlag erreichen können“, sagte Pfeiffer. „Das wäre der bessere Weg gewesen.“

Der Beitragssatz soll zum 1. Januar von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Umsatzsteigerungen bei Ärzten, Kliniken und in der Pharmabranche sollen 2011 um 3,5 Milliarden Euro vermindert werden. Pfeiffer geht dies nicht weit genug: „In Deutschland steht jedes fünfte Krankenhausbett leer.“ Trotzdem bekämen die Krankenhäuser 1,5 Milliarden Euro zusätzlich. „Dabei ist es an der Zeit, durch mehr Wettbewerb die verkrusteten Strukturen bei der stationären Versorgung aufzubrechen und die zweifellos vorhandenen Effizienzreserven zu mobilisieren .“

Niedergelassene Ärzte hätten derzeit nach Abzug ihrer Praxiskosten ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von rund 164.000 Euro. „Und trotzdem sollen die Arbeitgeber und die Versicherten ab dem 1. Januar tiefer in die Tasche greifen, um schon wieder eine Honorarsteigerung zu finanzieren.“ Aus Koalitionskreisen verlautete, dass die Praxisärzte 2011 gut eine Milliarden Euro mehr erhalten sollen.

Durch die Gesundheitsreform werden die Belastungen für die Versicherten nach Ansicht von Gesundheitsökonom Jürgen Wasem drastisch steigen. „Die Kopfpauschale kommt praktisch durch die Hintertür“, sagte der Wissenschaftler der „Saarbrücker Zeitung“. Im nächsten Jahr sei der Zusatzbeitrag wegen der allgemeinen Beitragsatzsteigerung noch kaum spürbar. „Aber immer wenn die Gesundheitsausgaben stärker steigen als die Löhne und Gehälter und der allgemeine Beitrag laut Gesetz unverändert bleibt, dann wird der Zusatzbeitrag deutlich zulegen“, erläuterte Wasem.

„Nach unseren Berechnungen wird er schon 2020 im Schnitt knapp 80 Euro pro Kassenmitglied betragen“. Über den geplanten Sozialausgleich für Niedrigverdiener äußerte sich Wasem skeptisch. „Die spannende Frage ist, ob dafür in Zukunft genügend Steuermittel zur Verfügung stehen“.

Die gesetzlich Versicherten müssen sich auf weitere Mehrbelastungen einstellen. Wie der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn im Deutschlandfunk sagte, werden die Beiträge der Krankenkassen auch in den kommenden Jahren Schritt für Schritt steigen, da die Gesundheit aufgrund des medizinischen Fortschritts und der älter werdenden Gesellschaft fortwährend teurer wird. Die Kostensteigerungen für Arbeitnehmer werden insbesondere beim Zusatzbeitrag liegen.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hatte bekräftigt, dass mit der Gesundheitsreform die Lasten einseitig auf die Arbeitnehmer umverteilt würden. Dies sei eine „ziemlich dreiste Klientelpolitik“, sagte sie im ZDF. Die eigentlichen Probleme im Gesundheitswesen würden nicht gelöst.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) verteidigt seine Reformpläne zur Finanzierung des Gesundheitswesens als alternativlos. „Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, um das System am Laufen zu halten“, sagte Rösler im ZDF. Die „unangenehme Botschaft“ in der Gesundheitspolitik sei, dass angesichts des medizinischen Fortschritts und höherer Lebenserwartung der Menschen Gesundheit nicht billiger werden kann.

Doch Rösler bekommt Gegenwind aus der eigenen Partei: Schleswig-Holsteins liberaler Gesundheitsminister und Vize-Regierungschef Heiner Garg sagte dem Hamburger Abendblatt : „Ich bin enttäuscht, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, einen großen Wurf einer Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen.“ Garg hätte sich eine viel stärkere Entkopplung der Gesundheitsbeiträge von den Löhnen gewünscht. „Jetzt hat sich die Koalition auf ein Drehen von Stellschrauben verständigt. Das ist unbefriedigend.“ Kritik äußerte der Landesminister auch daran, dass der Gesundheitsfonds bleibt. „Man hätte wenigstens die Beitragsautonomie an die Krankenkassen zurückgeben müssen“, so Garg. „Jetzt bleibt es bei Ulla Schmidts Gesundheitsfonds, den ich für völlig unsinnig halte.“