Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen stellte einen Gesetzwentwurf für die Reform von Hartz IV vor. Kritik kam von der SPD.

Berlin. Noch bis auf den letzten Drücker wurde am Montag im Bundesarbeitsministerium an dem Gesetzentwurf gefeilt, der die Hartz-IV-Sätze neu regeln soll. Dass das Papier dann allerdings immer noch nicht vorlag, als sich Ursula von der Leyen (CDU) am späten Nachmittag erstmals direkt dazu äußerte, war ein Novum in der Karriere dieser für ihren Perfektionismus bekannten Ministerin, die diese Panne dann auch nicht ohne Erklärung auf sich sitzen lassen wollte. "Normalerweise", meinte Ursula von der Leyen zu ihrer Entschuldigung, "hat man für einen so großen Auftrag mehrere Jahre - wir haben nur zehn Monate."

Tatsächlich wird es einen Systemwechsel geben. Von der Leyens Gesetzentwurf sieht vor, dass die Hartz-IV-Regelsätze künftig im Gleichschritt mit Preisen und Löhnen steigen, und nicht länger an die jährliche Rentenanpassung gekoppelt sein sollen. Darüber hinaus sollen vor allem die 1,7 Millionen Kinder aus Hartz-IV-Familien von der Reform profitieren: Sie haben vom 1. Januar an Anspruch auf Leistungen aus dem 480 Millionen Euro schweren Bildungspaket, aus dem Nachhilfeunterricht, Schulmaterialien, Musikunterricht und Vereinsmitgliedschaften finanziert werden sollen. Dazu kommen weitere 120 Millionen, die für warme Mittagsverpflegung sorgen sollen.

Die künftige Höhe des monatlichen Regelsatzes, der für einen Erwachsenen derzeit 359 Euro und für Kinder 215 und 287 Euro im Monat beträgt, ist in dem Gesetzentwurf allerdings noch offen. Diese Zahlen will von der Leyen erst in der kommenden Woche einsetzen - was ihr gestern scharfe Kritik eintrug. Die Neuregelung müsse transparent und nachvollziehbar sein, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz dem Hamburger Abendblatt. "Dazu gehört auch, dass alle Bestandteile der Reform auf den Tisch kommen." Es reiche nicht aus, so von der Leyens Amtsvorgänger, "dass die Bundesregierung ständig Details der vom Verfassungsgericht verlangten Reform präsentiert, während die Hauptfrage, nämlich die nach der künftigen Höhe des Regelsatzes, unbeantwortet bleibt".

Aber auch in den Reihen der Koalition gab es bereits ersten Unmut. Vor allem das Finanzministerium und die Haushaltspolitiker von CDU/CSU und FDP befürchten eine Kostenlawine. Ein Regierungsvertreter sprach dem "Handelsblatt" gegenüber von einem "Haushaltsrisiko". Und der FDP-Politiker Otto Fricke forderte von der Leyen auf, die zusätzlichen 120 Millionen im eigenen Ressort einzusparen. Schließlich wolle man die Neuverschuldung des Bundes drücken. Unionsfraktionsvize Michael Meister erklärte, zusätzliche Ausgaben, die das strukturelle Defizit des Bundes erhöhten, werde man nicht mittragen.

Bisher ist die jährliche Erhöhung an die Rentenanpassung zum 1. Juli eines Jahres gekoppelt. Im neuen Gesetzentwurf ist keine Garantie vorgesehen, dass das Arbeitslosengeld II bei sinkenden Löhnen und Preisen nicht gekürzt werden könnte. Das wurde gestern damit begründet, dass dies verfassungsrechtlich nicht möglich sei. Im Übrigen, hieß es, seien sinkende Löhne und Preise "extrem selten". Der jährliche Anpassungsmechanismus für die Regelsätze soll nur für einige Jahre zu 70 Prozent an die Preis- und zu 30 Prozent an die Lohnentwicklung gekoppelt werden. Spätestens ab 2014 soll eine jährliche Ausgaben- und Verbrauchsstichprobe in Geringverdienerhaushalten dafür herangezogen werden.

Die Zusammensetzung des Regelsatzes soll sich nach den Vorstellungen der Arbeitsministerin künftig ebenfalls ändern. Die Kosten eines Internetanschlusses und die Praxisgebühr von zehn Euro sollen als Ausgabenposten mit aufgenommen werden. Das Ministerium ließ offen, ob im Gegenzug andere Posten gestrichen würden.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf von der Leyen "monatelange Tatenlosigkeit" bei der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils vor. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte die Anhebung des Hartz-IV-Satzes auf 420 Euro. Da liege das existenzsichernde Minimum, das nicht unterschritten werden dürfe. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach von einem Armutszeugnis. Offenbar wolle die Regierung das Karlsruher Urteil möglichst billig umsetzen.

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar muss die Bundesregierung die Hartz-IV-Sätze bis Ende des Jahres neu berechnet haben. Außerdem verlangt Karlsruhe, dass Kindern und Jugendlichen eine bessere Teilhabe an Bildungs- und Sporteinrichtungen gewährt werden muss. Ursula von der Leyen hat deshalb die Einführung einer sogenannten Bildungs-Chipkarte vorgeschlagen, die vor allem von der CSU als zu umständlich und bürokratisch abgelehnt wird. In diesem Punkt gab sich die Ministerin gestern kompromissbereit. Um Nachhilfeunterricht oder Gebühren für einen Verein abzurechnen, seien auch Gutscheine vorstellbar, hieß es.