CSU-Minister Peter Ramsauer und Annette Schavan machen Front für umstrittenes Bahnhofsprojekt. Die Grünen sind unbeeindruckt.

Berlin. Der Streit um das von Bürgerbewegungen und Grünen massiv kritisierte Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 dominiert jetzt auch die politische Debatte in Berlin. Erstmals schaltete sich nun Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer in die Auseinandersetzung ein, die den Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg inzwischen völlig dominiert.

"Jeder von uns weiß um das Konfliktpotenzial von Großprojekten", sagte der CSU-Politiker, als er im Bundestag den Verkehrs- und Bauhaushalt für 2011 verteidigte. Doch wenn der Startschuss für die Realisierung eines Großprojekts gefallen sei, dann sollten die getroffenen Entscheidungen respektiert werden, verlangte Ramsauer. Stuttgart 21 sei über 15 bis 20 Jahre "nach allen Regeln rechtsstaatlicher Kunst" zustande gekommen. Die Politik müsse zu den Resultaten stehen. Es könne nicht hingenommen werden, dass manche nun ein vermeintlich höheres Recht für sich in Anspruch nähmen, griff Ramsauer die Grünen an, die sich in Baden-Württemberg zur politischen Speerspitze des Bürgerprotests gemacht haben. Gegen Stuttgart 21 gibt es seit Wochen Widerstand aus der Bevölkerung, der einen Wahlsieg des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) hat fraglich werden lassen.

Der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof soll während der insgesamt zehnjährigen Bauzeit durch eine Verlegung in den Untergrund zu einer Durchgangsstation gemacht werden, außerdem soll in Richtung Ulm eine Schnellbahnverbindung entstehen. Die Gegner kritisieren die Kosten, ökologischen Folgen und angebliche Sicherheitsgefahren durch das Bauprojekt. Vor Ramsauer hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Flucht nach vorn gewagt und die Landtagswahl im März kommenden Jahres kurzerhand zur "Volksabstimmung" über Stuttgart 21 erklärt.

Die Grünen schreckt das allerdings nicht, im Gegenteil. "Die Union muss wissen, ob sie ihrem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Mappus damit einen Gefallen tut", sagte der Parteivorsitzende Cem Özdemir dem Hamburger Abendblatt. "Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn die CDU die Landtagswahl zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 macht. Dann muss sich die Bundesspitze aber auch sofort für einen Abrissstopp einsetzen. Sonst wäre das schöne Gerede von der Beteiligung der Bürger reine Heuchelei." Mit jedem weiteren Abrisstag würden die Bürger bis März zunehmend vor "vollendete Tatsachen" gestellt. Tatsächlich ist der Abriss des alten Stuttgarter Bahnhofs bereits in vollem Gange. "Verkehrsminister Ramsauer will sich mit der Durchsetzung von Stuttgart 21 offenbar ein zweifelhaftes Denkmal setzen", warf Özdemir dem CSU-Politiker vor. "Er sollte sich lieber eine Reihe ehrenwerter Auszeichnungen verdienen, indem er die nötigen Mittel in wirklich wichtige Bahnprojekte in der Republik investiert."

Dem widersprach die ebenfalls aus Baden-Württemberg stammende Bildungsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Annette Schavan. Sie sagte dem Hamburger Abendblatt: "Stuttgart 21 ist ein zentrales Infrastrukturprojekt. Baden-Württemberg ist mit seiner wirtschaftlichen Kraft Wachstumsmotor in Deutschland. Deshalb besteht ein bundesweites Interesse, dass der Südwesten nicht von einem modernen Fernverkehr in Europa abgehängt wird."

Für einen Eklat sorgte am Freitag die Fraktion der Linkspartei, die im Bundestag mit Protest-Shirts gegen das Bahnprojekt auf sich aufmerksam machte. Zunächst fünf und später noch ein weiterer Abgeordneter wurden des Plenarsaals verwiesen und für zwei Sitzungstage ausgeschlossen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von einem "wiederholten, nicht mehr sonderlich originellen" Protest, der nicht mit der Geschäftsordnung vereinbar sei und verabschiedete die Linken vorzeitig ins Wochenende.

Nahezu gleichzeitig wurde bekannt, dass Stuttgart 21 künftig auf seinen Sprecher Wolfgang Drexler verzichten muss. Der SPD-Politiker und baden-württembergische Landtagsvizepräsident trat mit sofortiger Wirkung von dem Amt zurück. Nach der Entscheidung der SPD-Landtagsfraktion sowie der SPD-Bundestagsfraktion, einen Baustopp für Stuttgart 21 zu fordern, könne er die Aufgabe nicht länger glaubwürdig ausfüllen, begründete Drexler seinen Entschluss in Stuttgart.