Der Umweltminister soll die vor einer Woche ausgehandelte AKW-Verlängerung intern als verfassungswidrig bezeichnet haben.

Berlin. Nach der Entscheidung der Bundesregierung für eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke streiten die Parteien weiter über die Frage, ob die Länder dem Kompromiss mit der Energiewirtschaft im Bundesrat zustimmen müssen. Die Regierung geht bisher offiziell davon aus, dass der Atomkompromiss, der eine im Schnitt um zwölf Jahre längere Laufzeit der Meiler vorsieht, ohne Länderzustimmung umgesetzt werden kann. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der eine geringere Laufzeitverlängerung favorisiert hätte, machte intern angeblich verfassungsrechtliche Bedenken geltend.

Die "Bild am Sonntag" hatte geschrieben, Röttgen habe vor Mitgliedern der CDU-Fraktion im Düssel-dorfer Landtag gesagt, dass er nicht damit rechne, dass das Bundesverfassungsgericht die geplante Laufzeitverlängerung von durchschnittlich zwölf Jahren ohne Zustimmung des Bundesrates mitmachen werde. Er gehe zwar nicht davon aus, dass Karlsruhe den Kompromiss komplett verwerfe. Aber am Ende werde eine Laufzeitenverlängerung "von etwa fünf Jahren" herauskommen.

Er sagte der Zeitung aber jetzt: "Ich habe öffentlich und intern immer wieder betont, dass für die verfassungsrechtliche Beurteilung allein das Votum der Verfassungsressorts (Innen- und Justizministerium) maßgeblich ist. Daran hält sich die gesamte Regierung, und selbstverständlich auch ich." Innen- und Justizministerium waren zu der Auffassung gekommen, dass die von der Bundesregierung geplante Verlängerung ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen kann. In der Länderkammer hat Schwarz-Gelb keine eigene Mehrheit. Mehrere Bundesländer haben bereits angekündigt, bei Nichtbeteiligung des Bundesrates vor dem Verfassungsgericht klagen zu wollen.

Die Grünen reagierten mit scharfer Kritik und warfen der Regierung einen Schlingerkurs in der Atompolitik vor. "Ich glaube, dass der Umweltminister die AKW-Laufzeitenverlängerung genauso beurteilt, wie das kolportiert wurde, auch wenn er das jetzt dementiert", sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sylvia Kotting-Uhl, dem Hamburger Abendblatt. "Der Fall ist doch klar. Norbert Röttgen hat sich mit seinen Vorstellungen bei den ganzen Vereinbarungen nicht durchsetzen können, ist jetzt aber dazu verpflichtet, den Regierungsbeschluss mit zu vertreten und umzusetzen." Röttgen befinde sich "in einem ziemlichen Dilemma", da er nun als zuständiger Minister einen Gesetzentwurf anfertigen solle, hinter dessen Inhalt er offensichtlich nicht stehe. "Ich bin gespannt, wie er das für sich lösen will, aber das ist sein eigenes Problem."

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich ein. Sie habe nach der Zeitungslektüre am Sonntag noch einmal mit Röttgen gesprochen, sagte sie. Der Umweltminister bestreite, "diese Äußerung gemacht zu haben, und wird das zweitens auch noch einmal klarstellen", so Merkel, die zugleich betonte: "Ich habe überhaupt keinen Anlass, an dem Wortlaut des Ministers zu zweifeln." Unterdessen wies der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns E.on, Johannes Teyssen, Vorwürfe der Kungelei beim Abschluss des Energiepakts mit der Bundesregierung zurück. "Von Kungelei kann überhaupt keine Rede sein", sagte Teyssen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und fügte hinzu: "Alles ist öffentlich." Die Opposition hatte die zunächst unveröffentlichte Vereinbarung scharf kritisiert, in der sich die Atomkonzerne gegenüber der Bundesregierung mit weitreichenden Schutzklauseln abgesichert haben. So sollen hohe Nachrüstkosten für die Atomkraftwerke auf die geplante Ökoenergieabgabe angerechnet werden. Teyssen versicherte, es werde "unter keinen Umständen" Abstriche bei der Sicherheit geben. "Unabhängig davon darf man Kühe, die weiter Milch geben sollen, nicht schlachten", argumentierte er. Die Grenzen der Belastbarkeit der Industrie seien mit dem Atomkompromiss erreicht.

Unterdessen bekräftigten Ministerpräsidenten CDU-regierter Länder einen Anspruch auf die von den Atomkonzernen zugesagten Gelder für erneuerbare Energien. Ähnlich wie Baden-Württembergs Regierungschef Stefan Mappus forderte auch Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) mehr Bundesmittel. Es müsse einen "gerechten Ausgleich für die Endlagerstandorte in den jeweiligen Regionen" geben. Für die Erkundung des möglichen Atommüllendlagers Gorleben will die Regierung betroffene Bürger notfalls enteignen. Eine Sprecherin des Umweltministeriums sagte, dass bei der jetzigen Rechtslage die Weigerung nur eines einzigen Betroffenen dazu führen könnte, dass Gorleben nicht weiter erkundet werden könne. "Deshalb sollen in das neue Atomgesetz wieder Enteignungsvorschriften aufgenommen werden, die 2002 aus dem Gesetz gestrichen worden waren."