Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) konnte sich im Atom-Poker nicht gegen Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) durchsetzen

Berlin. Norbert Röttgen hatte gestern keine Zeit zu verlieren. Schon in den Morgenstunden nach der Nachtsitzung im Kanzleramt war der Umweltminister auf Sendung, um im Radio seine Sicht auf den ausgehandelten Atomkompromiss in die Welt zu setzen. Röttgens Botschaft klang euphorisch. Das Energiekonzept sei "sensationell". Weltweit nehme sich kein Land bei Ökostrom und Klimaschutz so viel vor. Und die Energiekonzerne müssten dazu einen "substanziellen Beitrag" leisten.

Fast nebenbei fügte der CDU-Politiker an, dass auch die AKW-Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden, dass moderne Meiler sogar 14 Jahre länger laufen sollen - was unterm Strich nichts anderes bedeutet, dass Deutschland auch in den nächsten Jahrzehnten auf Atomstrom setzt. Deshalb galt Röttgen allen rhetorischen Tricks zum Trotze in Berliner Regierungskreisen gestern als Verlierer im Laufzeiten-Poker. Schließlich hatte er in den Monaten zuvor alle Welt davon in Kenntnis gesetzt, dass er die Laufzeiten der AKW am liebsten nur um acht Jahre verlängern wolle. Der Sieger im Atompoker ist nach vorherrschender Lesart vielmehr Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der nach dem Streit um staatliche Hilfen für den Autobauer Opel nun zum zweiten Mal einen zentralen Konflikt innerhalb der Koalition für sich entscheiden konnte. Kein Wunder, dass der Liberale einiges an Energie darauf verwenden musste, um sich nicht mit übertriebenen Gesten des Triumphes in Szene zu setzen, als er gemeinsam mit Röttgen gestern Mittag in der Bundespressekonferenz gemeinsam vor die Kameras trat, um das Ergebnis zu verkünden. "Sieger gibt es nur einen: Und das ist Deutschland", lautete sein Kommentar.

Doch tatsächlich teilt sich Brüderle seinen Erfolg nicht nur mit dem wirtschaftspolitischen Flügel der CDU/ CSU, sondern mit der großen Mehrheit der von Volker Kauder geführten Unionsfraktion im Bundestag, die im Atomstreit nur wenig Verständnis für Röttgens Position zeigte. Die CSU hatte sogar eine durchschnittliche Verlängerung der Laufzeiten um 15 Jahre gefordert. Zu den Gewinnern des Kompromisses zählen schließlich auch Unionsministerpräsidenten wie der Baden-Württemberger Stefan Mappus, der ebenfalls 15 Jahre mehr wollte und Röttgen wegen seiner konträren Auffassung sogar indirekt zum Rücktritt aufgefordert hatte. Mappus fand gestern allerdings versöhnliche Worte für den Umweltminister: "Röttgen macht seinen Job - und ich finde, er macht ihn gut, auch wenn wir da mal an der ein oder anderen Stelle unterschiedlicher Meinung waren", sagte der Regierungschef, der auch von einer Niederlage für den Umweltminister nichts wissen wollte: "Es ist gut, wenn ein Umweltminister auch mal in eine andere Richtung argumentiert."

Größter Gewinner außerhalb der Politik sind die Versorger selbst, mit deren Vorständen sich die Verhandlungsführer am Sonntag im Kanzleramt fortlaufend telefonisch abstimmten. Die Konzerne teilten später mit, dass sie mit den Vorgaben gut leben könnten. In den Monaten zuvor hatten sie vergeblich versucht, gegen die Brennelementesteuer mobil zu machen, mit der sich der Staat einen Teil der Zusatzeinnahmen aus der Laufzeitenverlängerung sichert. Die Aktionäre scheinen optimistisch zu sein, dass am Ende dennoch genug in der Kasse bleibt: Der Börsenwert von E.on, RWE und EnBW stieg zu Wochenbeginn deutlich.

Kaum in Festtagslaune waren hingegen die Unternehmen aus der Öko-Energiebranche. Hunderte Stadtwerke, die an den Atomausstiegsbeschluss der rot-grünen Koalition geglaubt hatten, sehen nun ihre Investitionen gefährdet: Mit dem Atomausstiegsbeschluss habe es Planungssicherheit gegeben - ohne Not mache Schwarz-Gelb nun dieses Fass wieder auf. Der Aufstieg des Ökostroms werde gefährdet, hieß es.

Auch die Anti-Atom-Bewegung musste gestern eine Niederlage hinnehmen: Mit Aufnahme der Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und FDP hatten Aktivisten immer wieder versucht, gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg mit öffentlichen Aktionen im Berliner Regierungsviertel mobil zu machen - letztlich ohne Erfolg.

Allerdings gibt es auch in den Reihen der CDU noch Verlierer. So hatte Josef Schlarmann, Chef der Mittelstandsunion, sogar den Bau neuer AKW in Spiel gebracht und dagegen votiert, die Kernkraft Brückentechnologie zu nennen, da Brücken ein Ende hätten. Ihm geht der Kompromiss nicht weit genug: "Wir hätten uns ein klareres Bekenntnis zur Gleichbehandlung aller Energiearten, also auch der Kernenergie, gewünscht", sagte Schlarmann dem Hamburger Abendblatt. "Im Prinzip sollten Atomkraftwerke so lange laufen können, wie sie sicher sind, ohne ein Zeitlimit. Damit hätte man alle energiepolitischen Ziele, nämlich CO2-Reduktion, Versorgungssicherheit und günstige Strompreise, erreicht."