Muslime nennen Thilo Sarrazin wegen seiner Thesen zur Integration einen Rassisten. Entscheidung über Entlassung aus Bundesbankvorstand vertagt

Hamburg. Vermutlich wird Thilo Sarrazin die Situation genießen: Drei Tage nach der Veröffentlichung seines integrations- und islamkritischen Buches "Deutschland schafft sich ab" darf der erfahrene Politprovokateur beobachten, wie seine Thesen die Öffentlichkeit immer mehr polarisieren. Während eine Mehrheit der Deutschen die Entlassung Sarrazins aus dem Bundesbankvorstand ablehnt, werfen Muslime Sarrazin nun Islamfeindlichkeit und Rassismus vor.

Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Ich finde es sehr bedauerlich und fast schon beängstigend, dass die Islamophobie in Gestalt von Herrn Sarrazin langsam in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint." Sarrazins Äußerungen seien kein Beitrag zur Integration, sondern zur Ausgrenzung. Umso schlimmer sei es, dass sie von einem ehemaligen Senator und Spitzenfunktionär der Bundesbank stammten. Zwar gebe es Probleme bei der Integration, räumte Kizilkaya ein. Doch solche Schwierigkeiten würden auch ohne Sarrazin angesprochen. Zudem bleibe der ehemalige Berliner Finanzsenator eine Antwort auf offene Fragen schuldig: "Was ist denn die Lösung der Probleme, die Sarrazin angesprochen hat? Soll man als Muslim die Religion wechseln? Soll man eine Religionsquote in Deutschland einführen?"

Kizilkaya forderte Sarrazins Entlassung als Bundesbankmitarbeiter und seinen Ausschluss aus der SPD: "Ich als Muslim und Bürger dieses Landes fände es unerträglich, wenn SPD und Bundesbank keine Konsequenzen ziehen sollten. Sollten solche Thesen geduldet werden, fürchte ich einen Dammbruch, weil damit Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit toleriert und salonfähig gemacht werden würden."

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, bekräftigte seine Forderung nach einer Entlassung Sarrazins. Sarrazins Thesen trügen teilweise rassistische Züge. "Herr Sarrazin hat sich disqualifiziert durch seine Äußerungen, als Bundesbank-Vorstand und als SPD-Mitglied", sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. Für einen Ausschluss beziehungsweise eine Entlassung brauche man aber Geduld. Der Kritisierte habe den Status eines leitenden Beamten: "Wenn man ihn aus dem Dienst entfernen will, geht das nur mit einem geordneten Verfahren. Die Zeit dafür muss sein. Das gilt auch für das Ausschlussverfahren aus der SPD."

Nach Auffassung von Wiefelspütz, geht es Sarrazin nicht um eine Lösung von bestehenden Integrationsschwierigkeiten. "Er ist nicht an Aufklärung interessiert, sondern will seine Ressentiments unters Volk bringen." Ähnlich wie Wiefelspütz sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Sarrazins Äußerungen einen Verstoß gegen die Verpflichtung, sich als Mitglied des Vorstands zurückzuhalten. Er nannte die Äußerungen Sarrazins "verantwortungslosen Unsinn". Schäuble teilte mit, er habe mit Bundesbank-Präsident Axel Weber über Sarrazin gesprochen. Er warte nun die Entscheidung der Bundesbank ab, sagte Schäuble.

Die Notenbank will frühestens heute eine Entscheidung zur Zukunft ihres umstrittenen Vorstandsmitglieds treffen. "Vor Donnerstag ist nicht mit Ergebnissen zu rechnen", sagte ein Sprecher gestern in Frankfurt. Die Mehrheit der Deutschen hat sich unterdessen einer Umfrage zufolge gegen die Entlassung Sarrazins aus dem Bundesbankvorstand ausgesprochen. In einer Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24 gaben 51 Prozent der Befragten an, die umstrittenen Thesen Sarrazins über Muslime seien kein Grund für einen Rauswurf. 32 Prozent sprachen sich für eine Entlassung aus. Inhaltlich stimmen der Erhebung zufolge die meisten Deutschen Sarrazin aber dennoch nicht zu. So lehnen 35 Prozent der rund 1000 Befragten seine Thesen eher ab, 30 Prozent stimmen Sarrazins Theorien eher zu.

Bei der Schuldzuweisung sind die Deutschen laut Umfrage deutlich aufseiten Sarrazins. So machen 56 Prozent der Befragten die Migranten selbst für ihre Integrationsprobleme verantwortlich. Nur elf Prozent glauben, dass eher die Deutschen schuld an den Integrationsschwierigkeiten sind.