Andrea Nahles spricht im Abendblatt von einem “vergifteten Spiel“, Renate Künast nennt Thilo Sarrazin “eine Art Dauerdelikt“.

Berlin/Hamburg. Dauerthema Thilo Sarrazin: Durch die politischen Lager hindurch zieht sich die Kritik. „Bei Thilo Sarrazin handelt es sich um eine Art Dauerdelikt“, sagte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast. Sie bezog sich dabei auf Sarrazins Äußerungen zu fehlender Integrationsbereitschaft von Einwanderern und zu ihrem angeblich zu geringen wirtschaftlichen Nutzen für Deutschland.

Die Kritik entzündet sich an einem 464 Seiten starken Buch Sarrazins, das am Montag in Berlin vorgestellt wird und derzeit nur in einzelnen wenigen Presseauszügen bekannt ist. Die Deutsche Verlags-Anstalt (München) gab das Buch nun aber schon am Donnerstag mit dem Argument für die gesamte Presse frei, zur Versachlichung der Debatte beitragen zu wollen.

Im Bundestag wollen die Grünen ein Verfahren vorschlagen, bei dem zunächst die Bundesbank und dann die Bundesregierung eine Abberufung vorschlägt und der Bundespräsident sie dann vornimmt. Die Linke forderte die Bundesbank-Spitze auf, Sarrazin unverzüglich zu entfernen. „Ein Spitzenbeamter, der Menschen aufhetzt, ist nicht akzeptabel“, meinte Parteichefin Gesine Lötzsch. Nach Ansicht von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles missbraucht Sarrazin „den Namen der SPD“. Wer Bevölkerungsgruppen pauschal verächtlich mache und gegeneinander aufbringe, treibe ein „perfides, vergiftetes Spiel mit Ängsten und Vorurteilen“, sagte sie dem Abendblatt

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Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von „unerträglichen und wirren“ Thesen des Spitzenbankers. „Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und auf die Liberalität und Offenheit unserer Gesellschaft können wir stolz sein.“

Die Schiedskommission der Berliner SPD hatte im März geurteilt: „Die SPD muss solche provokanten Äußerungen aushalten.“ Eine Neuauflage gilt als aussichtslos, solange Sarrazin nur frühere Thesen wiederholt und keine Verfehlungen hinzukommen. Berlins SPD-Landeschef Michael Müller hält ein neues Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Finanzsenator jetzt für möglich. Müller verwies im RBB-Inforadio auf das Urteil der SPD- Schiedskommission, wonach weiter geprüft werden müsse, wie sich der 65-jährige Sarrazin verhalte. Es werde geprüft, „ob es da vielleicht neue Anhaltspunkte gibt und man sich dann auch juristisch auf diesem Wege trennt“. Einen Parteiaustritt hatte Sarrazin damals ausgeschlossen. Müller bekräftigte seine Kritik an den Äußerungen des früheren Finanzsenators über Zuwanderer. Sarrazin spreche nicht davon, dass Menschen „Kinder bekommen“, sondern dass sie „Kopftuchmädchen produzieren“. Dies sei eine herabwürdigende Wortwahl über Mitbürger, die teilweise seit Jahrzehnten hervorragend integriert seien.

Sein neues Buch , in dem er davor warnt, dass die Deutschen zu „Fremden im eigenen Land“ werden könnten, will Sarrazin von kommender Woche an auch auf einer Lesereise vorstellen, unter anderem am 9. September im Potsdamer Waschhaus. Der für den 25. September vorgesehene Auftritt im Berliner Haus der Kulturen beim Berliner Literaturfestival ist nach einer Absage des Hauses geplatzt. Das Literaturfestival will Sarrazin nun an einem anderen Ort zu Worte kommen lassen. Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg hatte zuvor zu Protesten aufgerufen und auch mit Boykottaufrufen gedroht. Proteste werden auch erwartet, wenn der Bundesbanker und sein Verlag das Buch am kommenden Montag im Haus der Bundespressekonferenz am Schiffbauerdamm vorstellen.

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Aus Sicht des innenpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Robbin Juhnke, sind es einige von Sarrazins Forderungen wert, diskutiert zu werden. „Unabhängig davon, ob Sarrazin recht hat, ist es wichtig, sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen“, sagte Juhnke der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“. „Es sollte selbstverständlich sein, dass wir von Zuwanderern Integrationsleistungen einfordern. Und es spricht auch nichts dagegen, darüber nachzudenken, wer uns als Zuwanderer nützt und wer nicht“, zitiert das umstrittene Blatt den CDU-Politiker. Vielen Politikern gelten Interviews mit der „Jungen Freiheit“ als tabu. Sie sehen das Blatt in der Nähe zum Rechtsextremismus.