Innenminister de Maizière stellt den Lagebericht organisierte Kriminalität vor und fordert, die Vorratsdatenspeicherung zu regeln.

Hamburg. Die organisierte Kriminalität (OK) ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Das zumindest lässt sich aus den Zahlen des "Bundeslagebildes" 2009 ablesen, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gestern in Berlin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, veröffentlichte. Die mafia-ähnlichen Banden richteten 2009 einen Schaden von 1,3 Milliarden Euro an und steigerten ihren Gewinn um 40 Prozent auf 903 Millionen Euro. Demnach stieg die Zahl der OK-Verfahren um vier Fälle auf 579.

Die rückläufige Tendenz habe sich nicht fortgesetzt, musste de Maizière feststellen. "Die Bedrohung durch die organisierte Kriminalität in Deutschland bleibt hoch." Er versprach deswegen, die Möglichkeit der Abschöpfung krimineller Vermögen zu verbessern, und forderte, die Vorratsdatenspeicherung endlich neu zu regeln.

"Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung klaffen gravierende Schutzlücken", sagte er. "Hier bedarf es dringend einer gesetzlichen Neuregelung." Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte angekündigt, diese in Ruhe prüfen zu wollen.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Das Bundesverfassungsgericht hatte im März die Speicherung der Telekommunikationsdaten, die die Anbieter für mögliche Strafverfolgung sechs Monate aufbewahren mussten, in dieser Form für verfassungswidrig erklärt.

Seitdem fehlt den Ermittlern die Möglichkeit nachzuverfolgen, wer mit wem wann per Mail oder Telefon in Kontakt getreten ist. Ein unverzichtbares Mittel, wie der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Wilfried Albishausen, dem Abendblatt sagte: "Gerade im Bereich der Ermittlungen von organisierten Banden, also da, wo Täter lange im Voraus planen, stehen und fallen diese oft mit den Verkehrsdaten, die wir in der Vergangenheit von den Netzbetreibern bekommen haben." Doch nicht nur die Banden könnten dadurch unbeobachteter kommunizieren, meint er. Wer im Internet einen Amoklauf ankündige, würde auch nicht entdeckt.

Wie auch de Maizière rät der OK-Experte Albishausen allerdings dazu, die Zahlen des Lagebilds vorsichtig zu interpretieren. Sie würden wenig über die tatsächliche Gefahr der OK aussagen. Wer etwa Rauschgiftschmuggel, Fälschungen oder Menschenhandel aufdecken will, muss genau hinsehen. De Maizière sagte denn auch: "In diesem von Kontrolldelikten geprägten Feld bedeutet ein Mehr an Verfahren, dass unsere Ermittler erfolgreich sind." So können etwa Schwerpunktermittlungen im Bereich des Rockermilieus, wie etwa im Bandenkrieg zwischen Hell's Angels und Bandidos, dazu führen, dass Zahlen in die Höhe schnellen.

Mit einem Anteil von 40 Prozent beherrschen weiterhin die Verfahren um Rauschgifthandel und -schmuggel den Bereich der OK. Autodiebstahl steht mit einem Anteil von 14,3 Prozent an zweiter Stelle der Verfahren, gefolgt von Anlage- und Kreditbetrug (13 Prozent). Von den 9294 Verdächtigen stellen die Deutschen mit mehr als 3500 den größten Anteil. Sie handeln mit Rauschgift, dominieren die Rockergruppen, die durch Drogen- und Waffenschmuggel sowie Gewaltkriminalität auffallen, und spielen eine große Rolle bei Wirtschaftsdelikten.

Die 855 ermittelten türkischen Verdächtigen handeln als zweitgrößte Gruppe der Verdächtigen ebenfalls mit Drogen. Die italienischen Verdächtigen rückten nach mehreren Ermittlungsverfahren gegen italienische Mafiagruppen in Deutschland auf Platz drei. Ihre Zahl stieg von 187 auf 323. Deutschland gilt als ihr Rückzugsraum.

De Maizière warnte davor, bei den Ermittlungen den Anschluss an die technisch aufgerüsteten Kriminellen zu verlieren. "Die Beweissicherung wird durch den Einsatz neuer Technologien auf der Täterseite immer schwieriger", sagte er. Auch Albishausen weiß aus seiner Erfahrung: "Alles, was technisch neu ist, wird von der organisierten Kriminalität genutzt. Technisch sind diese Kriminellen den Ermittlern mit Sicherheit überlegen."